Gespräche mit Freunden

Zur „ersten großartigen Autorin der Millennials“ hat die „New York Times“ die 28-jährige Irin Sally Rooney ausgerufen, „die wichtigste Stimme der Millennialliteratur“ hat der „Independent“ sie genannt. Für ihr Erstlingswerk „Conversations with Friends“ wurde Rooney 2017 von der „Sunday Times“ als „Young Writer of the Year“ ausgezeichnet. Mit ihrem zweite Roman „Normal People“ übertraf sie die Verkaufszahlen von Michelle Obamas Biografie „Becoming“. Die BBC arbeitet an einer Serienverfilmung ihrer Romane.

Ich habe Gespräche mit Freunden gelesen und kann die Begeisterungsstürme ziemlich gut nachvollziehen.

Ich sah Bobbi an der Tür zur Buchhandlung, und sie winkte mir zu. An ihrem linken Handgelenk trug sie mehrere Armreifen, die elegant an ihrem Arm herabrasselten, als sie ihn zum Winken hob. Ich dachte häufig, dass mir nichts Schlimmes zustoßen könnte, wenn ich wie Bobbi aussähe. Es wäre nicht so, als würde ich mit einem neuen, fremden Gesicht aufwachen. Ich würde mit einem Gesicht aufwachen, das ich bereits kannte, ein Gesicht, von dem ich mir bereits vorgestellt hatte, es wäre meins, weshalb es sich ganz natürlich anfühlen würde.

Gespräche mit Freunden, S. 83.

Rooneys Figuren fühlen sich unglaublich echt an, auch wenn man im ersten Moment glauben könnte, dass die Geschichte altbekannten Pfaden folgt. Frances ist 20 Jahre alt und die Ich-Erzählerin der Geschichte. Mit ihrer besten Freundin Bobby studiert sie am Trinity-College in Dublin, gemeinsam schreiben sie Gedichte, sie treten bei Poetry Slams auf und waren früher ein Paar. Frances kann gut schreiben, Bobby kann fantastisch performen. Bei einer Veranstaltung lernen sie die ungefähr zehn Jahre ältere Autorin Melissa kennen, die die Freundinnen zu sich nach Hause einlädt, damit sie ein Porträt über Bobbi und Frances schreiben kann. Bei dem Abendessen lernen sie Melissas Ehemann Nick kennen, einen depressiven Schauspieler, der schnell Interesse an Bobbi und Frances zeigt. Frances beginnt eine Affäre mit ihm. Melissa weiß davon.

Beim Abendessen tauschten wir ein paar Details aus unserem Leben aus. Ich erklärte ihm, dass ich den Kapitalismus zerstören wolle und dass ich Männlichkeit persönlich als unterdrückend empfand. Nick sagte, er sei ,grundsätzlich‘ ein Marxist, und er wolle nicht, dass ich ihn verurteile, weil er ein Haus besaß.

Gespräche mit Freunden.

Rooneys Figuren sind überdurchschnittlich gebildet und gehören zur urbanen Mittelschicht, man diskutiert über Gilles Deleuze oder das kommunistische Manifest und die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Monogamie. Das ist ganz putzig, aber auch ein bisschen drüber, liest sich aber unfassbar gut. Interessant und sehr zeitgeistig hingegen, sind die ökonomischen Betrachtungen der Figuren. Auch hier zeigt sich der Generationenunterschied zwischen Nick und Melissa und Bobbi und Frances. Während Nick und Melissa in ihrem Loft wohnen und versuchen alle Möglichkeiten zu nutzen, regen sich Frances und Bobbi über die griechische Schuldenkrise auf und machen sich gleichzeitig keine Illusionen darüber, irgendwann den ökonomischen Status ihrer Eltern zu erreichen. Doch auch hier unterscheiden sich die Freundinnen.

Bobbi hatte eine Art an sich, mit der sie überall dazugehörte. Obwohl sie sagte, sie hasse die Reichen, war ihre Familie reich, und andere wohlhabende Menschen erkannten sie als eine der ihren an. Ihre radikale politische Einstellung betrachteten sie als so etwas wie bourgeoise Selbstkritik, nichts allzu Ernsthaftes, und sprachen mit ihr über Restaurants oder wo man in Rom wohnte. Ich fühlte mich in diesen Situationen fehl am Platz, unwissend und bitter, hatte aber auch Angst davor, als halbwegs armer Mensch und Kommunistin identifiziert zu werden.

Gespräche mit Freunden

Jede Beziehung, die Sally Rooney in der Dubliner Mittelschicht beschreibt, ist geprägt von finanzieller Abhängigkeit. Und das wird im Verlauf der Handlung immer deutlicher. Frances steht oft vor dem Nichts, Bobbi fällt irgendwie auf die Füße, denn sie gehört schon dazu. Frances‘ Vater ist Alkoholiker und kann ihr keinen Unterhalt überweisen, sodass Nick, mit dem sie eine Affäre beginnt und Bobbi, mit der sie einmal eine Affäre hatte, anfangen, ihr Geld zu leihen oder Essen zu kaufen. Das ist eine Möglichkeit für Frances, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, denn für Literaturstudent*innen sind die Chancen gering, einen gutbezahlten Job zu bekommen. In Dublin sind die Folgen der Finanzkrise immer noch spürbar und Frances hängt in unbezahlten Praktika im Kulturbereich und Literaturagenturen herum, bei denen noch nicht einmal die Illusion aufrecht erhalten wird, dass sich die unbezahlte Arbeit irgendwann einmal in eine bezahlte Stelle wandeln wird.

„Ich hatte verschiedene Niedriglohnjobs in den vergangenen Sommerferien und ich ging davon aus, dass es nach meinem Abschluss so weitergehen würde. Auch wenn ich wusste, dass ich irgendwann eine Vollzeitstelle antreten musste, phantasierte ich garantiert nie von einer strahlenden Zukunft, in der ich dafür bezahlt wurde, eine wirtschaftlich relevante Rolle einzunehmen.“

Gespräche mit Freunden

Anhand von popkulturellen Referenzen kann man eigentlich feststellen, in welcher Zeit die Handlung spielt. Das gilt für alle Texte. Bei Rooney bleibt vieles abstrakt und eher vage, das macht die Geschichte auch so besonders und offen für eigene Interpretationen. Wenn Nick und Frances sich einen „iranischen Film über Vampire ansehen“, dann ist klar, dass beide einen exquisiten Filmgeschmack haben, denn natürlich handelt es sich hier um den iranischen feministischen Vampirfilm “ A Girl Walks Home Alone at Night“ von Ana Lily Amirpour, der auf diversen Filmfestivals ausgezeichnet wurde. Wenn man es nicht weiß, hat man aber auch nichts verpasst.

Ich hatte ein Fitzgeraldgefühl beim Lesen und das kommt wirklich nicht oft vor. Der Text besteht aus langen Selbstbefragungen, die Frances immer wieder formuliert, intelligenten Dialogen, Analysen ihrer Beziehung zu Bobbi, zu Nick und das in verschiedenen Formen. Chats, E-Mails, SMS und vielen Passagen über Befindlichkeiten und Gefühlslagen. Insgesamt ist die Stimmung im Roman eher traurig als wütend, besonders dann, als für Frances noch eine Endometrioseerkrankung hinzu kommt. Trotzdem ist der Roman unglaublich lässig geschrieben und beschäftigt sich seitenlang mit der Suche der Protagonistin nach sich selbst. Wie viel ich davon in einem Jahr noch weiß, kann ich wirklich nicht sagen. Gefallen hat mir der Roman trotzdem.

Jesus wollte immer der bessere Mensch sein, ich auch.

Gespräche mit Freunden

Ich habe den Roman als Rezensionsexemplar angefordert. Vielen Dank an das Bloggerportal!

Weitere Rezensionen findet ihr hier:

Literaturreich

Mona Lisa Blog

7 Kommentare

  1. soerenheim sagt:

    Mir wurde jetzt schon mehrfach gesagt, ich wäre als 84er auch ein „Millenial“… irgendwie schwer vorzustellen, dass eine Generation, die teils bald auf die 40 zugeht erst eine großartige Autorin hervorgebracht haben soll 😉

    1. Manchmal muss man den traurigen Tatsachen ins Gesicht blicken 😉😂

  2. Danke fürs Verlinken! 🙂

  3. Danke für die Empfehlung! Das interessiert mich schon länger, auch weil ich selber mal am Trinity College war, damals, als man noch Zeit hatte für ein gemütliches Erasmus-Auslandsjahr.

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