Kryonik als science-fictionartiges Heilsversprechen: Wenn Menschen sich einfrieren lassen, sind damit viele Erwartungen verbunden. Ein Auftauen in der Zukunft und damit in einer besseren Welt ist der Wunsch, aber einer muss den Laden eben auch am Laufen halten. In Henrik Otrembas zweiten Roman ist dies der mysteriöse Kachelbad, dessen Motive lange im Dunklen liegen.

Die Hoffnung auf das ewige Leben liegt in einer Lagerhalle. Hier hat Kachelbad mit seinem Gehilfen Lee Won-Hong mit Stickstoff gefüllte Tanks aufgebaut. Pro Tank gibt es Platz für bis zu sechs Tote, von den beiden Geschäftspartnern auch schon einmal „kalte Mieter“ genannt, die durch die technischen Mittel der Kryonik am Leben gehalten werden sollen. Ihre Frostigkeit und das Frostschutzmittel in ihren Adern soll sie vor dem körperlichen Verfall bewahren und ihre Zellen gesund erhalten, sodass in der Zukunft einmal findige Wissenschaftler für einen gelungenen Auftauprozess und damit fast so etwas wie das ewige Leben sorgen können. Die Eingefrorenen könnten also, so der Plan, einmal zu den letzten Überlebenden der menschlichen Spezies gehören. Dafür blättern sie eine Menge Geld hin und sind in ihrem eingefrorenen Zustand ganz auf die Arbeit von Kachelbad und Lee angewiesen.
Schockierend ist, dass es dieses Verfahren tatsächlich gibt. Seit 1967 versuchen Menschen dem Tod ein Schnippchen zu schlagen und sich in der sogenannten Kryokonservierung für die Nachwelt einzufrieren. Der erste der dem Prozess vertraute, war James Bedford, ein Psychologieprofessor. In Russland und in den USA liegen über 400 Menschen in diesem Kälteschlaf, in den sich die Menschen nach dem klinischen Tod versetzen lassen. In Deutschland ist die Kryonik verboten, da es keinen wissenschaftlichen Beleg für das Verfahren gibt und die Anhänger*innen der Methode sich im Bereich des Science-Fiction bewegen. Trotzdem gibt es in Russland einen kommerziellen Anbieter und in den USA zwei Non-Profit-Organisationen in Detroit und Arizona, die den Menschen Hoffnung auf ein zweites Leben machen. Kachelbad fällt auch eher in den Bereich der Non-Profit-Unternehmer, denn sein Job ist es, für die Ruhe der Eingefrorenen zu sorgen.
„ich sehe, dass sich zeit meines Lebens nichts getan hat, nichts zum Guten gewandt hat, dass die Menschen wider besseres Wissen, trotz der Erfahrung, trotz der ganzen verdammten Geschichte, weiter und weiter auf den Abgrund zurast. (…)Es müsste etwas Drastisches passieren, dann vielleicht gäbe es noch eine Chance. Aber so? Gib es doch zu, Kachelbad, wir sind verloren.“
Anders als das Thema vermuten lässt, erzählt Henrik Otremba, bildender Künstler und Frontmann der münsteraner Band Messer, nämlich ausdrücklich keine Science-Fiction-Geschichte. Kachelbad ist mit sehr diesseitigen Problemen befasst: woher bekommt man einen Totenschein? Wie kann man das Unternehmen (Exit US) anmelden? Wie gewinnt man Kund*innen? Wer kann Stickstoff besorgen und für die Ruhe der Mieter sorgen, wer kann helfen, den Laster, der den famosen Aufdruck „Otremba Funeral Service“ trägt auch wirklich an sein Ziel zu steuern? Im ersten Teil erzählt also die Rettungsassistentin Rosary von ihrem Zusammentreffen mit Kachelbad, der ihr ein lukratives Jobangebot macht. Doch irgendwann wird ihr das Unternehmen unheimlich. Im Anschluss an Rosarys Ausstieg und damit des bildlichen Verlusts der Hoffnung oder des Rosenkranzes, werden die „kalten Mieter“ vorgestellt, die ihre Leben bis ins Jahr 1987 erzählen und auf recht ausschweifend erzählten Wegen darstellen, warum sie sich für das Einfrieren entschieden haben. Das sind der Schriftsteller Shabbatz Krekow, die auf Gomera geborene Künstlerin Amelia Morales, die schon immer in den „Nebel“ gehen wollte, die psychisch angeschlagene Charlotte Weisenberg, eine ukrainische Wissenschaftlerin und ein Auftragskiller. So merkwürdig Kachelbad auch ist, er konnte alle Menschen von sich und seinem Verfahren überzeugen. Doch warum legen Menschen überhaupt ihre Hoffnung auf so ein wissenschaftlich hoch umstrittenes Projekt? Im Roman wird das mit einem surrealen Kniff erzählt. Kachelbad und viele seiner Mieter*innen gehören zu den Unsichtbaren. Eine Eigenschaft, die viele Außenseiter ohnehin schon haben, die sich aber, wie Kachelbad eindrücklich demonstriert, auch antrainieren lässt. Für einen Serienkiller eine Recht hilfreiche Eigenschaft, die aber ihren Tribut fordert. Auch die meisten anderen Phänomene, die auftreten scheinen zunächst undenkbar, später im Roman aber absolut nachvollziehbar.
In der Netflix Dokumentation „Eingefroren – Hoffnung auf ein zweites Leben“ (2020), begleitet der Dokumentarfilmer Pailin Wedel einen thailändischen Wissenschaftler, der seine unheilbar kranke Tochter Einz mittels Kryonik einfrieren lässt. Sie ist mit gerade einmal zwei Jahren die jüngste Person, bei der das Cryo-Preservation-Verfahren angewendet wird. Ihr Kopf und ihr Gehirn lagern im Tank einer Firma in Arizona, bei Kachelbad sind es die restlichen Gelder der Verstorbenen, die das Verfahren finanzieren, hier ist es das Geld der Familie. Die Dokumentation greift den Zwiespalt der Familienmitglieder auf. Während der Vater an die Wunder der Technik glaubt und davon ausgeht, dass Einz in der Zukunft auf kompetente Mediziner*innen treffen wird, die ihr helfen werden, stehen Mutter und großer Bruder vor dem Problem, dass sie sich ernsthaft Sorgen darüber machen, dass Einz in einer Welt aufwacht, in der es sie nicht mehr geben wird. Kann das verantwortungsvoll sein? Und funktioniert das Prozedere überhaupt? Während der Vater keine Fragen zulässt, stehen Mutter und Sohn vor dem psychologischen Problem, dass sie nie in die Verarbeitungsphase des Todes von Einz kommen, da sie nie richtig von Einz Abschied nehmen können. denn laut Glauben der Kryoniker und des Vaters ist das Mädchen ja nicht tot, sondern wartet auf ihre zweite Chance. Kein Wunder, dass der große Bruder Matrix seine Erfüllung später im Buddhismus findet.
Für Kachelbad ist es eben nicht der Profit, der ihn antreibt und auch nicht die fehlende Auseinandersetzung mit der Realität. Hoffnung findet er aber auch nicht im Glauben, sondern auf der Straße, wenn er mit seinen Tanks durch die Gegend zieht, solange er kann. Es ist die Liebe und der Glaube an das ewige Glück, die ihn eben nicht aufgeben lassen. Im letzten seiner Tanks liegt David, den Kachelbad versucht zu retten und dem er eine schöne Zukunft versprochen hat. Eine ohne Drogen und ohne Aids, in der sie gemeinsam am Strand sitzen können und einfach glücklich sind. Dafür nimmt Kachelbad unglaublich viel auf sich. Interessant ist auch, dass alle Menschen, die man in diesem wilden Roman kennen lernt, besessen davon sind zu schreiben. Sie führen Tagebuch, sie halten ihre Ideen fest, sie besprechen Tonbänder. Auch Kachelbad schreibt an seinen Memoiren bis zum Schluss. Die Erzählung hat unglaublich düstere Momente und ist gleichzeitig auch sehr hoffnungslos und dabei auch ein bisschen schön. Thematisch spannt Otremba einen riesen Bogen. Eigentlich erzählt er mit der ganzen sciencefictionstory eine Liebesgeschichte, aber das bleibt bis zum letzten Kapitel ein großes Geheimnis.
Weitere Rezensionen:
Interessant. Danke für die Vorstellung dieses Romans über ein Thema, mit dem wir uns nie zuvor beschäftigten.
Alles Gute
The Fab Four of Cley
🙂 🙂 🙂 🙂
Eine wirklich sehr interessante Geschichte. Und inspirierend besprochen. Herzlichen Dank!
(Ich frage mich ja seit einiger Zeit, wie man dafür sorgen kann, dass man nicht etwa sich selbst als Person, wohl aber seine digitale Hinterlassenschaft für die Nachwelt bewahren kann. Also zum Beispiel eine Art Friedhof für den eigenen Blog? Damit die ganze Arbeit über Jahrzehnte hinweg nicht einfach verloren ist, wenn man selbst einmal nicht mehr ist? Aber ich schweife vom Thema ab.)