You’re both the fire and the water that extinguishes it. You`re the narrator, the protagonist, and the sidekick. You’re the storyteller and the story told. You are somebody’s something, but you are also your you. (S. 257)
Nach dem Riesenerfolg von The fault in our stars (Das Schicksal ist ein mieser Verräter) nahm sich Green viel Zeit für seinen Nachfolger, der auf Deutsch unter dem Titel Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken erschienen ist. Insgesamt sechs Jahre mussten seine Fans auf das neue Buch warten. In Turtles all the way down befinden wir uns in Greens Lieblingsterritorium, das er meiner Meinung nach in jedem seiner Bücher in verschiedenen Variationen wieder aufgreift: im mittleren Westen der USA, der von superintelligenten und nerdigen Teenagern bevölkert wird, die sich mit existentiellen Krisen herumschlagen. Das klingt nicht außergewöhnlich, aber wenn dann noch Star Wars und The Tempest als (pop)kulturelle Referenzen gedroppt werden, schwebe ich schon im Zitatehimmel.
Es geht es um die 16-jährige Aza und ihre Freundin Daisy, die beide in ein großes Abenteuer stolpern. Ein Milliardär aus der Nachbarschaft ist verschwunden (ihr Lieben, es ist ein Jugendbuch!) und Hinweise auf seinen Aufenthaltsort werden mit hunderttausend Dollar belohnt. Die Detektivstory ist eigentlich nur eine Nebensache, denn Aza verliebt sich in den Sohn des Milliardärs, der alleine mit seinem kleinen Bruder auf die Rückkehr seines Vaters wartet. Aza kennt ihn schon seit einem gemeinsamen Sommer im „Sad Camp“ – einem Feriencamp für Kinder, die einen Elternteil verloren haben. Genug Inhalt und Konfliktpotenzial sind also da. Aber Green legt noch eine Schüppe nach. Aza hat ein großes Problem. Sie leidet an einer Angststörung und Panikattacken. Sobald sie anfängt sich in ihren Gedankenspiralen zu verlieren, kann sie nicht mehr aufhören. Ein komisches Gefühl im Bauch wird für sie gedanklich direkt zu einer Lebensmittelvergiftung mit ungewissem Ausgang. Die einzige Gewissheit, die sie hat, besteht darin, dass alles immer nur noch schlimmer werden kann.
I think, You will never be free from this.
I think, You don’t pick your thoughts.
I think, You are dying, and there are bugs inside of you that will eat through your skin.
I think and I think and I think.
Natürlich ist die Geschichte insgesamt sehr konstruiert. Der Milliardärssohn schreibt Poesie und anonyme Blogposts und interessiert sich für Astrologie (und romantisches Sterne gucken). Auch während sein Vater verschwunden ist, hat er nur Augen für Aza – das ist natürlich alles ein bisschen too much und ein bisschen kitschig. Genau so, wie man es von einem wirklichen guten Green gewohnt ist (oder fandet ihr die Geschichte von Hazel, die krebskrank nach Amsterdam fährt um ihren Lieblingsschriftsteller zu treffen, realistisch? Ja, eben…).
Trotzdem bleibt gerade im Mittelteil das Gefühl zurück, dass sich Green für diesen Roman wirklich sehr viele Themen vorgenommen hat. Die beiden Jungs, die alleine in ihrem Haus leben und mit der Angst um ihren Vater klar kommen müssen, werden von Azas ausführlichen und tragisch-absurden Ängsten in den Hintergrund gerückt. Vielleicht ist das auch ein überzeugendes Argument für diese Konstruktion: Aza ist so sehr in ihrem Kopf gefangen, dass selbst ein so unrealistisch Abenteuer sie nicht von sich selbst und ihren psychischen Zwängen befreien kann. Und auch die große Liebe ist kein Allheilmittel. Insgesamt fand ich den Roman sehr viel düsterer als andere Romane von John Green, auch wenn es ein stimmiges Wohlfühlende gibt (das man nicht mit einem Happy-End/ „Ende gut, alles gut“ verwechseln sollte). Die Dialoge sind umwerfend komisch, Daisy ist eine grandiose Figur (die auch noch Rey- Chewbacca-Liebesfanfiction schreibt – wie genial ist das denn bitte!) und auch die Geschichte, die sich hinter dem Titel des Romans verbirgt, hat mir gut gefallen.
John Green ist auf YouTube ziemlich aktiv und hat auch einen eigenen Kanal, den er zusammen mit seinem Bruder Hank betreibt. Als Vlogbrothers erreichen sie mittlerweile 3 Millionen Abonnent*innen. Zum Erscheinungstermin seines neuen Buches, machte John Green auch in einem Vlog deutlich, dass er persönlich auch von OCD betroffen ist, die sich bei ihm, wie bei seiner Hauptfigur Aza, in ewigen Gedankenspiralen äußert. Sicherlich ein Grund dafür, warum die Probleme der Hauptfigur so sensibel verhandelt werden, ohne die Absurdität der Handlungen der Betroffenen und die Probleme, die sich daraus auch für zwischenmenschliche Beziehungen ergeben, außen vor zu lassen.
Madness, in my admittedly limited experience is accompanied by no superpowers; being mentally unwell doesn’t make you loftily intelligent any more than having the flu does. So I know I should’ve been a brilliant detective or whatever, but in actuality I was one of the least observant people I’d ever met.
Das Ende ist ziemlich positiv, das hatte ich schon gar nicht mehr erwartet. Und die Freundschaft zu Daisy bekommt noch einmal eine neue Dimension, die mich ebenfalls überraschen konnte.
John Green: Turtles all the way down. Dutton Books 2017.