Das Leben wird nicht gelenkt von Wille oder Absicht. Das Leben ist eine Frage der Nerven und Muskeln und der langsam aufgebauten Zellen, in denen sich das Denken verbirgt und die Leidenschaft träumt. Sie mögen sich sicher wähnen und für stark halten. Aber ein zufälliger Farbton in einem Zimmer oder am Morgenhimmel, ein bestimmter Duft, den Sie einst geliebt haben und der zarte Erinnerungen in sich birgt, eine Zeile aus einem vergessenen Gedicht, auf die Sie unverhofft stoßen, eine Kadenz aus einem Musikstück, das Sie lange nicht mehr gespielt haben – glauben Sie mir, Dorian, dass von solchen Dingen unser Leben abhängt. […]
Das Leben ist Ihre Kunst. Sie haben sich selber in Musik gesetzt. Ihre Tage sind Sonette.
Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Gerstenberg Verlag (=Visuelle Weltliteratur) 2001. S. 261.