Gratis Comic Tag 2016 – 5 Lesetipps

 

Heute könnt ihr in ausgewählten Comicläden ein paar tolle Schätze abgreifen und damit der Branche zu ein bisschen Aufwind verhelfen. Und das ist auch dringend nötig, denn längst lesen nicht mehr nur Besserwissernerds Texte mit wunderbaren Zeichnungen. Alle sollten Comics lesen, egal wo. Damit ihr das ohne Probleme umsetzen könnt, habe ich mal in meinem Bücherregal geguckt, was für Schätze sich da noch verstecken. Meine fünf Tipps für diesen Tag findet ihr weiter unten.

Doch warum überhaupt die Festlichkeit? Es ist Gratis Comic Tag und einen Überblick über alle geplanten Aktionen zu diesem Tag der Freude und der Kunst gibt es hier. Außerdem heißt es doch sowieso eigentlich Graphic Novel (das wusste schon Seth Cohen) und trotzdem gibt es immer noch Menschen, die ernsthaft glauben, dass Asterix oder Tim und Struppi das einzige sind, was das Genre zu bieten hat und die sich vielleicht auch deshalb, gar nicht so richtig an ein Comic heranwagen. Aber Comics sind eben mehr als Funny Animals oder Calvin und Hobbes (nichts gegen Calvin und Hobbes). Auch Pablo Picasso hat die Großmutter der heutigen Graphic Novels, die KrazyKat-Comics (1913-1944) von George Herriman ziemlich abgefeiert. Und die ganzen coolen Hipsterliteraten wie F. Scott Fitzgerald, Gertrude Stein und E. E. Cummings fanden die Mieze auch ziemlich gut. Charlie Chaplin soll die Katze ebenfalls sehr geliebt haben. Tja und dann kam der historische Downfall.

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In den 1950er Jahren änderte sich die Stimmung gegenüber dem Genre maßgeblich. In der Schmutz- und Schund-Kampagne in Deutschland, wurden Comics als Übel der Gesellschaft konstruiert, das die unschuldige Jugend moralisch mit POOOW und BOOOM verwahrlosen lasse. Während Wilhelm Buschs Werk noch schnell zur richtigen und gehobenen Literatur auserkoren wurde, die sich satirisch lustig macht, waren KrazyKat-Comics bald unterste Schublade. Das passte zu kritischen Stimmen aus Übersee, denn 1954 erschien das Standardwerk zur Verdammung des Comics: Seduction of the Innocent. Verfasser war der Psychologe Fredric Wertham, der an einem Fallbeispiel eines jugendlichen Mörders durchexerzierte, dass allein Kino, Fernsehen, die schrecklichen Medien und besonders die Comics, für die Taten verantwortlich waren. Außerdem konstruierte er noch schnell eine Leseschwäche herbei, die alle Kinder und Jugendlichen befiele, sobald sie nur noch Sätze in Sprechblasen lesen würden. 2012 stellte sich heraus, dass Wertham  sich seine ganze Studie nur ausgedacht hatte, aber das wusste man in der BRD der 1950er Jahre natürlich nicht. Da ging man eher dazu über, Comics öffentlich zu verbrennen und schön auf das populäre, aber „schmutzige“ Medium Comic draufzuhauen. Im Anschluss an die Debatte gründete sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Schriften, die Zensur übte, wenn die Comics zu „gewalttätig“ waren. Erst in den 1970er Jahren gewann der Comic auch die wissenschaftliche Aufmerksamkeit, die ihm schon längst hätte zu Teil werden müssen.

Heute ist deshalb der Tag, an dem das Comic gefeiert werden soll. Mir ist ganz egal, ob ihr Comic oder Graphic Novel sagt, wenn ihr heute nur einmal dieses wundertolle Medium in die Hand nehmt. Da ich noch einige tolle Comics auf meinem SuB liegen hatte, habe ich mich in den letzten Tagen mal durch meinen Besitz gelesen und präsentiere euch jetzt ein paar interessante Graphic Novels, in denen es auch wirklich keine Superhelden geben wird. Versprochen. Denn die Comics, die ich euch vorstellen möchte, gehören für mich sowieso zur Belletristik und deswegen auch auf diesen Blog.

1. Flix – Faust. Der Tragödie erster Teil.

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Goethes Faust sollte man doch kennen. Was Flix hier aus dem Klassiker herausholt, ist schon beeindruckend. Der Künstler stellte auch schon in seinem Debüt die Frage „Who the fuck is Faust?“ und in diesem Werk beantwortet er die Frage auf naheliegende Weise. Heinrich Faust ist Taxifahrer in Berlin, Gretchen eine Muslima, die eigentlich Margarethe heißt (weil ihr Vater eine Vorliebe für die Schreinemakers hat) und das ganze Drama um Fausts Seele geht nur los, weil Meph und Gott eine Wette um eine – Entschuldigung!- zwei Kisten Ramazotti am laufen haben. Ich habe seitenweise gelacht, weil Flix Comics voll toller, skurriler und liebenswerter Einfälle sind. Don Quijote ist ebenfalls sehr zu empfehlen.

2. Jiro Taniguchi – Die Sicht der Dinge

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Als Yoichi die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, kehrt er das erste Mal nach 15 Jahren in seine Heimatstadt zurück. Der Grafiker hatte es all die Jahre vermieden, nach Hause zu kommen, weil er einen stillen Groll gegen seinen Vater mit sich herum trägt. Laut Yoichis Sicht der Dinge, hat sein Vater durch seine Langeweile und seinen Alltagstrott dafür gesorgt, dass seine Mutter das Haus verlassen musste. Während der Totenwache und intensiven Gesprächen mit seinen Verwandten, geht Yoichi auf, dass er viele seiner Ansichten revidieren muss. Die ruhigen Bilder, der konzentrierte Text – Taniguchi lädt dazu ein, die besondere Atmosphäre des Friseursalons der Kindheit von Yoichi auf sich wirken zu lassen. Eine traurige Geschichte, bei der ich mir ein kleines Schniefen am Ende nicht verkneifen konnte.

3. Sid Jacobson/ Ernie Colón – Das Leben von Anne Frank. Eine grafische Biografie

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In enger Zusammenarbeit mit dem Anne Frank Haus in Amsterdam, haben die beiden Zeichner Sid Jacobson und Ernie Colón, das Leben von Anne Frank in einem Graphic Novel verewigt. Auszüge aus ihrem Tagebuch, Originalfotografien und Dokumente sind mit in dieses intensiv recherchierte und fesselnd geschriebene Werk geflossen. Annes Geschichte steht in einem Netz aus Geschichten. Es beginnt mit der Heirat ihrer Eltern in Frankfurt, die Erlebnisse während des Nationalsozialismus, die gemeinsame Flucht nach Amsterdam und die Jahre im Versteck bis hin zum Tod der Familie in unterschiedlichen  KZ’s. Annes Vater wird der einzige Überlebende bleiben. Vielleicht mutet es für einige Leser*innen merkwürdig an, eine so ernsthafte Geschichte als Graphic Novel zu lesen. Ich finde ihn sehr  gelungen und kann den Band nur empfehlen.

4. Adrian Tomine – Halbe Wahrheiten

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Ben Tanaka ist Anfang 30 und ziemlich orientierungslos. Seinen Freunden geht es ähnlich, die haben auch alle was mit Kunst und Film studiert. Ben leitet zwar ein Kino, aber privat läuft es nicht so gut. Seine langjährige Freundin Miko muss für einen Filmjob nach New York und auf einmal sind alle anderen Frauen interessanter als sie.

Halbe Wahrheiten hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, viele Szenen kamen mir so vertraut vor, obwohl ich nicht Ben bin. Halbe Wahrheiten spiegelt ein Lebensgefühl des ewigen Nicht-Ankommens, egal, wie viel man schon beruflich erreicht hat. Gleichzeitig werden lakonisch Fragen nach kultureller und sexueller Identität aufgeworfen, die von Adrian Tomne ziemlich brilliant in Szene gesetzt werden. Must-Read.

5. David Small – Stiche. Erinnerungen.

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David Smalls autobiographische Graphic Novel besticht schon durch die besondere Optik. Schwarz-weiß-Grau. Im Leben von David gibt es keine Farben. Er ist sechs, zwölf, vierzehn, fünfzehn als im ungeheuerliche Dinge widerfahren. Es sind besonders die atmosphärischen Zeichnungen, die auch noch Tage nach der Lektüre, nachwirken. Davids Leben ist ein Alptraum, ein Krankenhaus-Horrorfilm. Wenig Text, dafür aussagekräftige Zeichnungen, in denen die verstörende Welt der Wissenschaft der 1950er Jahre wieder lebendig wird. David ist derjenige, der unter den Experimenten seiner Familie zu leiden hat, die es nicht besser wussten und ihre eigenen Geheimnisse mit sich herumtragen. Schaurig und düster. Absolut empfehlenswert.

Was sind eure Lieblingscomics? Welche Comics darf man im Moment nicht verpassen?

Und wie feiert ihr diesen besonderen Tag?

Ich freu‘ mich über eure Kommentare und wünsche euch einen schönen Gratis Comic-Tag. :)

Flix: Faust. Der Tragödie erster Teil. Carlsen 2014.

Jiro Taniguchi: Die Sicht der Dinge. Carlsen 2008.

Sid Jacobson/ Ernie Colón: Das Leben von Anne Frank. Eine grafische Biografie. Carlsen 2010.

Adrian Tomine: Halbe Wahrheiten. Reprodukt 2008.

David Small – Stiche. Erinnerungen. Carlsen 2009.

[Rezension] Opa gegen die Windmühlen – Don Quijote nach flix

So leicht geben wir uns nicht geschlagen, nicht wahr, Dulcinea?

Miguel Cervantes Roman über den Ritter von trauriger Gestalt, der auf deutsch unter dem Titel Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha zu finden ist, ist ein Klassiker.  Alonso Don Quijote de la Mancha – seines Zeichens eigentlich kein Ritter, aber großer Fan von Ritterromanen und das macht einen ja auch schon irgendwie zu einem Ritter – ist mit dem Pferd Rosinante unterwegs, sein treuer Kollege Sancho Panza mit einem Esel. Gemeinsam erleben sie unterschiedlichste Abenteuer – und wer kennt nicht den Kampf gegen die Windmühlen, das Abenteuer des Junkers schlechthin? Ein gutes Beispiel, das zeigt, dass die wahren Feinde der beiden Kumpanen nicht unbedingt in der Realität existieren müssen. Der Roman von Cervantes wurde bereits 1605 veröffentlicht, von 1799 – 1801 wurde eine deutsche Übersetzung von Ludwig Tieck herausgegeben, die, bis 2008 als Susanne Lange sich einer Neuübersetzung widmete, als kenntnisreichste und beste Übersetzung galt. Der Comickünstler flix nähert sich diesem wunderbaren Abenteurer nun auf ganz neue Art.

Flix adaptiert dabei nicht nur die Erzählung, sondern komponiert sie neu und nimmt sich spannende Freiheiten gegenüber der klassischen Vorlage heraus, so dass ganz neue Bedeutungsebenen dazu gewonnen werden. Don Quijote lebt in flix‘ Variante nicht irgendwo auf der iberischen Halbinsel, sondern in MeckPom. Aus Toboso wird Tobosow, ein verlassener Ort, in dem der Rentner Quijote sich selbst zum Vorkämpfer gegen den geplanten Windpark stilisiert. Demos, Leserbriefe an den Märkischen Volksfreund (mit besonderem Hinweis auf den schädlichen Einfluss den Comics auf junge Gemüter haben) – der Rüpelrentner hat viel zu tun und gibt niemals auf.

Quelle: www.bazonbrock.de Flix/Carlsen Verlag 2012
Quelle: http://www.bazonbrock.de Flix/Carlsen Verlag 2012

Doch Gefahr droht aus ganz anderer Ecke – seine Tochter befindet, dass ihr Papa mittlerweile dement wird und nicht mehr für sich selbst sorgen kann. Und das ist nicht ganz von der Hand zu weisen – sieht der Don doch langsam überall Raubritter (auch wenn es sich um Windpark-Investoren handelt). Quijote, dessen Freund Sancho Panza bereits verstorben ist, soll in die Seniorenresidenz Cervantes umquartiert werden. Als Übergangslösung wohnt er bei seiner Tochter und lernt seinen Enkel kennen – ein achtjähriger, der – Schreck, lass nach! – Comics liest und dazu auch noch verkleidet als Batman durch die Gegend springt. Opa ist not amused, entdeckt aber bald, dass sein Enkelsohn und er doch einige Gemeinsamkeiten haben. Robin kann die Monster auch sehen, gegen die sein Opa kämpft. Außerdem hat er einen kleinen Esel, auf dem er sich fortbewegt, während Quijote seine Rosinante hat. Dass Robins Mama/Don Quijotes Tochter an Stelle der Tiere nur schnöde Fahrräder sieht, muss die beiden ja nicht stören. Nach dem Robin seinen Opa aus dem Seniorenheim befreit hat, machen sie sich gemeinsam auf, um die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen und natürlich gegen das Böse zu kämpfen. Denn, wie der große Abenteurer Don Qijote de la Mancha sagt:

Die Limette hat noch Saft!

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Flix hat mit der Graphic Novel Don Quijote eine wunderbare Variante eines Klassikers geschaffen, der in unsere Zeit übertragen wird. Nachdem ich vor einiger Zeit Held von flix gelesen habe und hellauf begeistert war, geht es mir mit dieser Rittergeschichte genauso. Die Figuren werden liebevoll entwickelt und sind toll gezeichnet. Mit Witz und Charme zeigt flix dabei, dass Cervantes Heldenepos auch heute spannend sein kann. Denn was verbindet den alten Don Quijote mit dem Rüpelrentner von heute? Seine Fantasie und sein Mut, Dinge ändern zu wollen – auch, wenn das nicht immer alle verstehen können. Das Duo Großvater/Enkel erweist sich als (fast) unschlagbar und zeigt, dass es jenseits von vielzitierten Generationenkonflikten, die Fantasie ist, die unterschiedliche Generationen verbindet. Ein Buch, in dem Fahrräder zu Eseln, Pferden und Fledermäuse werden können und das mir kontinuerlich Spaß gemacht hat, selbst wenn ich auf den letzten Seiten auch ein kleines bisschen sentimental geworden bin.

 Neue Comics und Ankündigungen neuer Projekte findet ihr auf der www.der-Flix.de (sehr zu empfehlen).

Flix – Don Quijote. Hamburg: Carlsen Verlag 2012.

ISBN: 978-3-551-78375-2