[Rezension] Frauen und Literatur – Ein eigenes Zimmer

Inspiriert durch den gestrigen Beitrag über Frauen in der Kunst, habe ich mich kurzerhand entschlossen, heute den Essay Ein eigenes Zimmer von Virginia Woolf zu lesen, der 1929 erschien und zu den meist zitierten Texten der Frauenbewegung gehörte. Der Essay ist ein Zusammenschnitt von zwei Vorträgen, die Woolf 1928 am Girton College und am Newnham College hielt, den beiden ersten britischen Colleges für Frauen. In ihrem Essay beschreibt Woolf nicht nur die Rolle von Schriftstellerinnen in der Literaturgeschichte, sondern stellt auch eigene Überlegungen hinsichtlich der Geschlechterdifferenz und damit verbundenen unterschiedlichen poetischen Zugängen zur selbstgeschriebenen Literatur, die ihrer Meinung nach, Frauen und Männer haben und verbindet diese Überlegungen auch mit politischen Vorstellungen über Geschlechtergerechtigkeit. Außerdem habe ich vor kurzem auch The Hours gesehen – und Nicole Kidman als Virginia Woolf gar nicht erkannt. Aber Stimmen kann ich mir ganz gut merken und ihre Synchronstimme war der einzige Hinweis, den ich hatte. Der Film hat mir gefallen, es werden drei unterschiedliche Frauenschicksale miteinander verknüpft – das Leben von Woolf mit ihrem Ehemann 1923, das Leben von Laura Brown, die 1951 eine Geburtstagsparty für ihren Mann vorbereitet und das Leben von Clarissa Vaughan in der Gegenwart, die für ihren an Aids erkrankten Freund eine Preisverleihungsparty (er ist Schriftsteller) vorbereitet. Die Handlungen werden durch unterschiedliche Elemente verknüpft, ohne zu viel zu verraten, ist ein Element auch der Roman Mrs. Dalloway von Woolf, an dem die Schriftstellerin gerade arbeitet und den Laura gerade liest. Außerdem werden, wie in Mrs. Dalloway, 24 Stunden aus dem Leben der Frauen gezeigt. Mein Interesse an Virginia Woolf war also geweckt und Ein eigenes Zimmer ist der erste Text, den ich von ihr gelesen habe.

Ich habe einfach ein paar Stellen gesammelt, die ich wichtig fand – allerdings ziemlich unvollständig. Ich möchte hier ja keine Abhandlung für die Uni schreiben. Also los. ;)

Das eigene Zimmer ist eine zentrale Vorstellung, die immer wieder aufgerufen wird und um die Woolf ihren Vortrag konzipiert:

Ich kann Ihnen lediglich eine Meinung zu einer Nebensache anbieten – eine Frau muß Geld und ein eigenes Zimmer haben, um schreiben zu können; und das läßt, wie Sie sehen werden, die große Frage nach der wahren Natur der Frau und der wahren Natur der Literatur unbeantwortet. (S.9)

Virginia Woolf nimmt während des Essays die Erzählperspektive von vier poetischen Figuren ein, sie wählt interessanterweise die vier Marys aus einer schottischen Ballade, die Maria Stuart am Abend ihrer Hinrichtung (!) begleiten. Gesungen wird die Ballade aus der Perspektive der Mary Hamilton, die ihre Gefährtinnen vorstellt: „Yestre’en the queen had four Marys;/ This night she’ll have but three;/ There was Mary Beaton and Mary Seaton/ Mary Carmichael and me.“ Ein ziemliches makabres Setting, oder nicht? Eingeleitet wird der Essay mit einem fiktiven Erlebnis in Oxbridge: Woolf geht über den Rasen, statt über den Kies, wie es sich für eine anständige Frau gehört:

Augenblicklich erhob sich die Gestalt eines Mannes, um mir den Weg abzuschneiden. Anfangs verstand ich gar nicht, daß das Gestikulieren des seltsam aussehenden Ungetüms in Gehrock und Frackhemd an mich gerichtet war. Sein Gesicht drückte Entsetzen und Entrüstung aus. Instinkt, nicht Vernunft kam mir zur Hilfe; er war ein Pedell, ich war eine Frau. Dies war der Rasen, dort war der Weg. Hier sind nur die Fellows und die Gelehrten zugelassen; mein Ort war der Kies. (S.11)

Und ihr Spaziergang führt sie noch weiter, denn eigentlich möchte sie auch die Bibliothek besuchen, doch das darf sie nicht, zumindest nicht ohne Begleitung:

[…] aber hier stand ich tatsächlich vor der Tür, die in die Bibliothek selbst führt. Ich muß sie geöffnet haben, denn augenblicklich erschien, wie ein Schutzengel mit einem Geflatter schwarzen Talars statt weißer Flügel den Weg versperrend, ein abwehrender, silbriger, freundlicher Herr, der, indes er mich fort winkte, mit leiser Stimme bedauerte, daß Damen nur Zutritt zu der Bibliothek haben, wenn sie von einem Fellow des College begleitet werden oder ein Empfehlungsschreiben vorweisen. (S.13)

Die Geschichte erscheint aus heutiger Perspektive wahnsinnig absurd, die Frau darf nur den vorgegebenen Weg gehen und in die Bibliothek darf sie auch nicht? Zurecht regt Virginia sich darüber auf, merkt aber, dass sie nichts ändern kann: „Daß eine berühmte Bibliothek von einer Frau verflucht worden ist, bleibt einer berühmten Bibliothek vollkommen gleichgültig.“ (S.13) Im Anschluss an diese Szene beschreibt sie eine Einladung zum Essen, es gibt Seezunge, Dammhirsch, Rebhühner – es wird geschlemmt, zumindest in dem von Männern besuchten College. Abends führt ihr Weg sie in das fiktive Frauencollege Fernham, sie nimmt am Abendessen teil, sie isst „schlichte Brühsuppe“ mit „nichts darin, was die Phantasie anregte“ (S.22). Das reicht zum Überleben, ist aber kein Festmahl und steht aber im krassen Gegensatz zum vorherigen College:

Zum Glück hatte meine Freundin, die Naturwissenschaften lehrte, einen Schrank, in dem es eine gedrungene Flasche und kleine Gläser gab – (aber erst einmal hätte es Seezunge und Rebhuhn geben sollen) -, so daß wir uns ans Feuer setzen und einige Schäden unserer Verpflegung beheben konnten. (S.23)

Ausgehend von den „beobachteten“ Unterschieden, stellt Woolf fest, dass das größte Problem ist, dass es den Frauencolleges an Geld fehlt und an reichen Geldgeber_innen, die ein Interesse daran haben, dass Frauen sich bilden können. Deshalb fehlt es an Rebhühnern, an Dienern, an Gesellschaftsräumen, die den Männern ohne Frage zur Verfügung stehen. Woolf und ihre Freundin empören sich über die „schändliche Armut ihres Geschlechts“ (S.25).

Was hatten unsere Mütter damals getrieben, daß sie uns keine Reichtümer hinterlassen konnten? Sich die Nase gepudert? Schaufenster betrachtet? In Monte Carlo die Sonne genossen? (S.25)

Nichts dergleichen, ihre Mütter haben Kinder bekommen, manchmal zwölf oder dreizehn und hatten deshalb keine Zeit, Geld zu verdienen – wenn sie es denn überhaupt durften. Denn nach den gesetzlichen Regelungen, durften Frauen auch kein Vermögen besitzen, es gehörte stattdessen den Ehemännern. Deshalb gibt es auch kaum Collegestifterinnen, denn ein Vermögen um ein College zu finanzieren – ein eigenes Zimmer, ist eben nicht vorhanden gewesen. Deswegen, so folgert Woolf, blieben Frauen jahrhundertelang außen vor:

[…] und ich dachte, wie unangenehm es ist, ausgesperrt zu sein, und ich dachte, wie viel schlimmer es vielleicht ist, eingesperrt zu sein, und bei den Gedanken an die Sicherheit und den Wohlstand des einen Geschlechts und an die Armut und die Unsicherheit des anderen und an die Wirkung der Tradition oder des Mangels an Tradition auf den Geist eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin dachte ich schließlich, daß es Zeit war, die verschrumpelte Haut des Tages mit ihren Überlegungen und ihren Eindrücken und ihrem Zorn und ihrem Gelächter abzustreifen und unter eine Hecke zu werfen. (S.29)

Woolf macht sich auf ins Britische Museum um Nachforschungen über Frauen und Literatur anzustellen und stellt fest, dass zwar unglaublich viele Männer über Frauen schreiben, aber es verschwindend wenig Frauen gibt, die schreiben.

Haben Sie eine Vorstellung, wieviele Bücher über Frauen im Laufe eines einzigen Jahres geschrieben werden? Haben Sie eine Vorstellung, wieviele von Männern geschrieben sind? Ist Ihnen bewußt, daß Sie vielleicht das am häufigsten abgehandelte Tier des Universums sind? (S.31)

Und dazu noch ein sehr interessantes „Tier“, immerhin schafften es die unterschiedlichsten Wissenschaftler und Gelehrten ganze Abhandlungen über Frauen zu verfassen, die Woolf munter zitiert: Frauen wären „allermeist völlig charakterlos“, „unfähig“, hätten keine Seele oder eben doch eine Seele, da sie die Verbindung zur Natur darstellten und überhaupt wären Frauen „geistig, sittlich und körperlich dem Mann unterlegen“. Nach einem spontanen Wutanfall und einer Karikatur des Verfassers, versucht Woolf der Frage nachzugehen, warum sich die Männer in diesen Aufsätzen so herablassend und abwertend verhalten und kommt zu dem Schluss, dass es vor allen Dingen darum geht, die eigene Machtstellung, den Status Quo zu behalten, der allein dadurch gerechtfertigt werden kann, dass Frauen abgewertet werden:

Frauen haben seit Jahrhunderten als Spiegel gedient, Spiegel mit der magischen und erhebenden Kraft, die Gestalt des Mannes in doppelter Größe wiederzugeben. Ohne diese Kraft wäre die Erde wahrscheinlich immer noch Sumpf und Urwald. […] Das Spiegelbild ist von größter Wichtigkeit, denn es lädt die Lebenskraft auf; es regt das Nervensystem an. Nimm es fort, und ein Mann kann sterben, wie der Drogensüchtige, dem sein Kokain entzogen wird. Unter dem Bann dieser Illusion, dachte ich, aus dem Fenster schauend, schreitet die Hälfte der Menschen auf dem Bürgersteig zur Arbeit. […] Sie beginnen den Tag zuversichtlich, gestärkt, überzeugt, sie seien auf Miss Smiths Teegesellschaft hochwillkommen; sie sagen sich, während sie das Zimmer betreten, ich bin der Hälfte der Menschen hier überlegen, und so kommt es, daß sie mit jenem Selbstvertrauen, jener Selbstsicherheit sprechen, die so tiefgreifende Folgen für das öffentliche Leben gehabt und zu so seltsamen Randnotizen im privaten Bewußtsein geführt haben. (S.40)

Virginia Woolf glaubt aber nicht daran, dass Frauen und Männer unterschiedliche Fähigkeiten hätten. Stattdessen stellt sie sehr optimistisch fest, dass in hundert Jahren Frauen Lokomotivführerinnen sein können oder Soldatinnen oder Matrosinnen, denn erst wenn Frauen nicht mehr das „beschützte“ Geschlecht sind, werden sie sich „logischerweise an allen Betätigungen und Anstrengungen beteiligen, die ihnen einst versagt waren“ (S.44). Und das gilt auch für den Bereich der Literatur. Woolf erfindet Shakespeares Schwester, eine ebenso talentierte Dichterin wie er. Doch sie hatte kaum Möglichkeiten ihr Talent unter Beweis zu stellen, was nützte es ihr, Schreiben zu können? Nichts, denn sie hatte keinen Zugang zu Bildung und niemanden, der an ihr Talent geglaubt hat, stattdessen wäre es eher wahrscheinlich, dass sie im 16. Jahrhundert mit dieser gr0ßen Begabung „ganz gewiss wahnsinnig geworden wäre, sich erschossen hätte oder in einer einsamen Kate außerhalb des Dorfes geendet wäre, halb Hexe, halb Zauberin, gefürchtet und verspottet.“ (S.52) Doch alle Dichter waren Schwierigkeiten ausgesetzt, nur sieht Woolf, dass Frauen aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten, noch viel mehr zu kämpfen hatten:

Zuerst einmal war ein eigenes Zimmer – gar nicht zu reden von einem ruhigen Zimmer oder einem schalldichten Zimmer – ganz undenkbar, wenn ihre Eltern nicht außerordentlich reich oder sehr vornehm waren, sogar noch zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts. Da ihr Nadelgeld, das vom guten Willen ihres Vaters abhing, gerade für die Sachen, die sie am Leib trug reichte, blieben ihr Erquickungen verwehrt, die sogar Keats oder Tennyson oder Carlyle, alles arme Männer, sich gönnten, wie eine Wanderung, eine kleine Reise nach Frankreich oder eine eigene Unterkunft, die sie, bei aller Ärmlichkeit gegen die Ansprüche und Tyranneien ihrer Familie schützte. Solche materiellen Schwierigkeiten waren fatal; aber viel schlimmer waren die immateriellen. Die Gleichgültigkeit der Welt, die Keats und Flaubert und andere geniale Männer so unerträglich fanden, war in ihrem Fall nicht Gleichgültigkeit, sondern Feindseligkeit. Die Welt sagte zu ihr nicht, wie sie zu ihnen sagte: Schreib, wenn du magst; mir ist das einerlei. Die Welt sagte mit einem Hohnlachen: Schreiben? Wozu soll deine Schreiberei nützlich sein? (S.56)

Abgesehen von diesen Schwierigkeiten denen Schriftstellerinnen begegneten, geht es Woolf besonders um die Wertschätzung von Literatur, die aus dezidiert „weiblicher Perspektive“ geschrieben ist. Sie feiert Jane Austen und ihre Romane, besonders Sense and Sensibility. Ich habe vor kurzem Emma gelesen und war mir immer noch nicht sicher, was ich von diesem Roman halten soll. Emma ist keine sympathische Figur, die Handlung plätschert viel vor sich hin, das meiste passiert im Salon, wenn alle zusammensitzen. Und dann schreibt Woolf, dass Frauen ja auch keine eigenen Zimmer hatten. Dass Austen ihre Romane im Kreise der Familie im Salon geschrieben hat, immer wieder unterbrochen vom Gossip der Gäste, von „Frauenaufgaben“ wie Strümpfe stopfen, von den häuslichen Pflichten, die Frauen eben zu erledigen hatten. Und wenn sie dann einen Roman veröffentlichte und kein männliches Pseudonym verwandte, dann wurden ihre Romane nicht ernst genommen:

Das ist ein wichtiges Buch, unterstellt der Kritiker, denn es handelt vom Krieg. Das ist ein unbedeutendes Buch, denn es handelt von den Gefühlen von Frauen in einem Salon. (S.76)

Außerdem tauchen Frauen einfach nicht auf. Sie sind nicht wichtig, es gibt 1928, so wie Woolf schreibt, kaum Biographien über Schriftstellerinnen oder Beschreibungen von Alltagsgeschichten von Frauen. Nichts aus dem 17. Jahrhundert, nichts aus dem 18. Jahrhundert. Frauen bleiben Spiegel und das ist eine ziemlich bittere Erkenntnis. Außerdem vertieft Woolfe ihre Thesen vom Anfang:

Die geistige Freiheit hängt von materiellen Dingen ab. Die Dichtkunst hängt von der geistigen Freiheit ab. Und Frauen sind immer arm gewesen, nicht erst seit zweihundert Jahren, sondern von Anbeginn der Zeit. Frauen hatten weniger geistige Freiheit als die Söhne athenischer Sklaven. Frauen hatten also nicht den Hauch einer Chance, Gedichte zu schreiben. Deshalb habe ich soviel Nachdruck auf das Geld und ein eigenes Zimmer gelegt. (S.108)

Am Schluss wendet sie sich an ihre Zuhörerinnen und ermutigt sie, egal um welches Sujet es sich handelt, Romane zu schreiben, Gedichte zu schreiben, einfach zu schreiben, und sich zu trauen zu schreiben.

Mir hat der Essay, der in sechs Kapitel unterteilt ist, sehr gefallen. Er ist sehr dicht geschrieben und nicht so einfach zu lesen, aber es gibt einen ganzen Haufen Anmerkungen, die mir sehr geholfen haben, besonders was die unterschiedlichen Schriftsteller_innen betraf, die ich nicht alle kannte. Interessant waren besonders ihre Anmerkungen zu Austen und auch zu Charlotte Bronte. Ihrer Meinung habe, werde in Jane Eyre zwar das große Genie der Schriftstellerin deutlich, könne sich aber nicht entfalten. Stattdessen seien die Übergänge rissig, und die Unterschiede zwischen Schriftstellerin und ihrer Figur seien nicht auszumachen. Wenn Jane Eyre rebelliere, sei das eigentlich Charlotte – und diesen Zorn würde man merken, während die Figuren von Jane Austen leicht dahingleiten und mit ironischer Distanz betrachtet werden können. Virginia Woolf hat einen interessanten Stil, der mir gefallen hat. Ich fand die Idee mit den unterschiedlichen Marys toll und habe Lust, mehr von ihr zu lesen – eventuell Mrs. Dalloway? Vielleicht überdenke ich auch noch einmal meine Meinung zu Jane Austen – und Sense and Sensibility liegt hier auch noch herum.

[*Ich stimme nicht allem zu, was Woolf so schreibt. Ich glaube nicht daran, dass Männer und Frauen so unterschiedliche Wesen haben, dass sie auch deswegen so ganz unterschiedlich schreiben. Äh – nein. Aber das, was ich interessant fand, habe ich versucht hier darzustellen.]

Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer/ Drei Guineen. Zwei Essays. In der Übersetzung von Heidi Zernig.

S. Fischer (2001)

ISBN: 3-10-092573-4