Wiesenstein

IMG_20180322_072826Gerhart Hauptmann, Nobelpreisträger und Autor von Werken wie Bahnwärter Thiel und Die Weber, verlässt gemeinsam mit seiner Frau Margarete und einem Stab von Dienstboten im März 1945 ein Sanatorium und fährt zurück in die Heimatvilla. Das Anwesen Wiesenstein liegt in Schlesien, im Riesengebirge. Die Hauptmanns planen ein luxuriöses Leben im Chaos des Krieges. Ein Schutzbrief des sowjetischen Kulturoffiziers Sekolow ermöglicht es Hauptmann Wiesenstein nach wie vor zu bewohnen. Als „Festung in Saus und Graus“, als „Schutzhülle {m]einer Seele“ steht die Burg wie ein uneinnehmbarer Ort in der Nähe von Görlitz. Ein Masseur, eine Zofe, ein Butler, ein Gärtner, eine Köchin und eine Sekretärin stehen bereit, um dem großen Schriftsteller und seiner Frau Margarete den Lebensabend so fürstlich wie möglich zu gestalten. Die Romanhandlung verlässt diesen Ort auch kaum, auf Wiesenstein entfaltet sich ein intensives Kammerspiel das die letzten Tage des Nobelpreisträgers umfasst.

Auf Wiesenstein, so hofft Hauptmann, kann er zur Ruhe kommen. Seine Bekanntheit reicht über die Landesgrenzen hinaus, seine Stücke haben ihn zum gefeierten Schriftsteller gemacht. Wegen seiner sozial engagierten Dramen ist er auch  zum Kriegsende hin bei den Russen und Polen sehr beliebt, auch wenn er sich nie gegen den Nationalsozialismus positioniert hat, sondern oft genau wusste, von wem er in welcher Situation profitieren konnte.

Klare politische Statements scheinen ihm ohnehin nicht sehr gelegen zu haben. Pleschinski zeigt einen Schriftsteller, der sich oft nicht entscheiden konnte und für den stets die Kunst höhere Priorität als das politische Alltagsgeschäft hatte. Das ist nicht unbedingt leicht zu lesen, wünscht man sich doch jemanden, der eine klare Haltung hat. Es ist oft nicht leicht zu entscheiden, ob Hauptmann senil oder arrogant oder vielleicht zu ängstlich ist, um sich anders zu verhalten. Oder vielleicht einfach mit einem riesen großen künstlerischen Eskapismus gesegnet, der ihn auch dunkle Zeiten überstehen ließ. Ein Schriftsteller, der vor dem Ersten Weltkrieg gefeiert und dem schon in der Nachkriegszeit seine Nähe zu den Nationalsozialisten auf die Füße fiel. Pleschinski geht hier den großen Fragen nach: Wie viel Nähe zu den Machthabern ist legitim? Wie sehr dürfen sich Künstler*innen von autoritären Regimen hofieren lassen um beispielsweise Freunde oder die eigenen Kinder zu schützen?

Auf Wiesenstein lädt Hauptmann standesgemäße zu Feiern und Kinoabenden als wären Friedenszeiten. Man lästert über die Schriftsteller im Exil oder amüsiert sich über Dr. Spitz – so nannte Hauptmann Thomas Mann. Mann wiederum soll darunter gelitten haben, dass er „nur“ Mann, der andere immerhin „Hauptmann“ war – im Zauberberg parodiert er den Schriftstellerkollegen in der Figur des Mynheer Peeperkorn. Sprachduktus und Stottern inklusive. Hauptmann wird ihm diese künstlerische Freiheit nicht verzeihen.

Manchmal schmeißt Hauptmann sich in seine Mönchskutte, die er aus Italien mitgebracht hat, zieht sich in sein Turmzimmer zurück und trinkt und schreibt die ganze Nacht (vieles ist wunderschön: „In jedem Mensch ruht ein Tanz“). Sein Personal, die Krankenschwester Maxa, seine Sekretärin Annie Pollak und sein Masseur Paul Metzkow passen sich dem Lebensrhythmus an, auch wenn in den Dörfern um Wiesenstein herum, Flüchtlingstrecks vorbeiziehen und die Angst vor den fremden Soldaten immer größer wird. Aus den verschiedenen Perspektiven der Bewohner wird das Leben auf Wiesenstein greifbarer, auch wenn Wiesenstein Schutz bietet, weiß niemand, was als nächstes passieren wird. Die Zeit scheint auf der Burg still zu stehen.

Völlig unvorhersehbar war der Masseur mittlerweile zum Lieblingsvorleser des Hausherrn aufgerückt. Was im Lande geschah, drang nur spärlich zum Wiesenstein durch. Der Wiesenstein schien tatsächlich Sicherheit zu gewähren. Lesen und Vorlesen überbrückte nicht nur die Zeit, es füllte sie sogar. Metzkow entwickelte sich zum Hauptmann-Kenner. Keiner seiner alten Bekannten, sofern sie noch lebten, würde das glauben.  (S.293)

Auch die Nachkriegszeit und die anschließenden Plünderungen werden umfassend dargestellt und zeigen gekonnt und schockierend die Folgen des Krieges auf. Gert Hauptmann stirbt am 6. Juni 1946, seine Frau kurz darauf. Hans Pleschinski schreibt sehr ausführlich über die letzten Tage im Hause Hauptmann. Viele Figuren sind historisch belegt und Pleschinski reichert den Roman mit vielen unbekannteren Originaltexten an, die der junge Masseur Metzkow zum ersten Mal liest. Das ist wirklich gelungen und macht neugierig auf andere Werke des Schriftstellers. Wenn allerdings Annie Pollak als Stichwortgeberin für Interpretationsansätze  von Hauptmanns unterschiedlichen Texten herhalten muss, wirkt der Text etwas schwerfällig.   Trotzdem konnte mich der Roman beeindrucken.

Hans Pleschinski – Wiesenstein. C.H. Beck 2018.

Ich habe den Roman als Rezensionsexemplar bei einer Leserunde von Lovelybooks gewonnen. Vielen Dank! 

Weitere Rezensionen findet ihr hier:

Literatur leuchtet