Hundert beste Bücher – Der ZEIT-Kanon

Der Kaffeehaussitzer hat sich in einer sehr gelungenen Übersicht mit dem Kanon beschäftigt, den die Wochenzeitung „Die Zeit“ vorgestellt hat. Genauere Details zur Zusammensetzung der Jury, die mittlerweile deutlich diverser und weiblicher geworden ist, findet ihr in seinem Beitrag. Die besten hundert Romane also. Ich habe mich vom Kaffeehaussitzer inspirieren lassen und ebenfalls kurz kommentiert, ob ich die Besten der Besten kenne oder schon gelesen habe. Im Anschluss findet ihr eine Ergänzung von mir, denn natürlich fehlen mir einige Titel auf der Liste.

Das Baby schläft, los geht’s!

Der ZEIT-Kanon: Die 100 besten Bücher – Die neue ZEIT-Bibliothek der Weltliteratur

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah
Steht hier im Regal, immer noch ungelesen. Verschiedene Freundinnen haben schon davon geschwärmt. Mir haben aber andere ihrer Bücher sehr gefallen, z.B. Blauer Hibiskus.

Swetlana Alexijewitsch: Secondhand-Zeit
Die Nobelpreisträgerin für Literatur aus dem Jahr 2015 kenne ich bisher noch nicht. Wenn ihr schon etwas von ihr gelesen habt, womit sollte ich anfangen?

Dante Alighieri: Die göttliche Komödie
Der Text gehört auch zur Rory-Gilmore-Leseliste. Werde ich ihn jemals lesen? Ich weiß es nicht.

Isabel Allende: Das Geisterhaus
Ein fantastischer Roman! Funfact: Mit 12 habe ich mit verschiedenen Freundinnen, die zu einer Übernachtungsparty bei uns waren, gruselige Filme auf VHS gesucht. Da meine Eltern dem Horror-Genre nicht so zugetan sind, suchten wir sehr lange und fanden dann „Das Geisterhaus“. Nach 20 Minuten haben wir das Video sehr frustriert gestoppt. Es gab einfach keine Geister in diesem Film…

Anonymus: Die Reise in den Westen
Ein Werk der klassischen chinesischen Literatur, das durchaus interessant klingt.

Bettina von Arnim: Die Günderode
Kann man bestimmt mal machen, kenne ich bisher noch nicht.

Margaret Atwood: Der Report der Magd
Pflichtlektüre im Englischleistungskurs, Abitur 2007. Deswegen habe ich den Roman natürlich gelesen und sehr gemocht. Der Film dazu ist wirklich schlecht, die neue Serie hingegen ist sehr gelungen und erweitert die literarische Vorlage um passende erschreckende dystopische Elemente. Ich habe aber bisher erst Staffel 1 und Staffel 2 gesehen.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil
Elisabeth Bennett und Fitzwilliam Darcy, wer kennt sie nicht? Und wer kennt nicht die charmanten Anspielungen auf Austen aus Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück? Eben, das muss man wirklich kennen.

Ingeborg Bachmann: Das dreißigste Jahr. Erzählungen
„Meine Existenz ist eine andere, ich existiere nur, wenn ich schreibe, ich bin nichts, wenn ich nicht schreibe, ich bin mir selbst vollkommen fremd, aus mir herausgefallen, wenn ich nicht schreibe. […] Es ist eine seltsame, absonderliche Art zu existieren, asozial, einsam, verdammt, es ist etwas verdammt daran.“ (Klick) Das erinnert mich daran, dass ich „Einige Herren sagten etwas dazu“ unbedingt noch lesen möchte. Vielleicht ist es aber auch furchtbar deprimierend. Über Malina bin ich bisher nicht hinausgekommen, möchte das aber gerne noch ändern!

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita
Das steht hier noch ungelesen im Regal.

James Baldwin: Giovannis Zimmer
Steht schon lange auf der Liste der Bücher, die ich unbedingt lesen möchte. 

Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen
Ja, nun, ich weiß nicht.

Harriet Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte
Eine der schlimmsten Geschichten überhaupt. Harriet Beecher Stowe hat sich als gläubige Christin stark an der Bibel orientiert und konnte ihren Glauben und die Gesetze gegen geflüchtete Sklaven nicht recht in Einklang bringen. So schreibt sie selbst über ihren Text: „diese Skizzen [sollen] Sympathie und Mitgefühl für die aus Afrika stammenden Menschen auslösen […], die unter der amerikanischen Bevölkerung leben. Sie sollen die Missetaten und den Kummer zeigen, die das unnötig grausame und ungerechte System ihnen zufügt, das alle Versuche von wohlgesinnten Menschen, die ihnen Gutes tun wollen, verhindert.“ Gleichzeitig ist die Geschichte natürlich extrem paternalistisch, Onkel Tom ist der immer gute Mensch, der gequält wird und wahrscheinlich wird deshalb der Text in den USA auch häufig sehr viel kritischer rezipiert als hierzulande. Onkel Tom bleibt stets unterwürfig, wehrt sich nicht – egal, was ihm schlimmes angetan wird. Puh. Harter Tobak, auch immer noch. Und einfach ganz schlecht gealtert.

Die Bibel | Lutherbibel Standardausgabe
Ok, Freunde der Sonne, Hand auf’s Herz, wer hat denn schonmal die Bibel gelesen? In Gänze? Also ich nicht.

Maxim Biller: Esra
Da habe ich kein Interesse dran. Der Text scheint mir hier auch nur aufgrund der gerichtlichen Auseinandersetzung aufzutauchen und es hinterlässt doch ein merkwürdiges Gefühl, dass sich eine Frau für den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gegen einen Schriftsteller durchsetzen muss, für Details zum Prozess klickt ihr hier.

Giovanni Boccaccio: Das Dekameron
Die Renaissance interessiert mich jetzt eher weniger.

Roberto Bolaño: 2666
Das liegt hier im Regal der ungelesenen Bücher.

Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum
Etliche der Romane und Kurzgeschichten von Heinrich Böll kenne ich, diesen tatsächlich nicht.

Charlotte Brontë: Jane Eyre
Der Roman hat mir sehr gefallen.

Emily Brontë: Sturmhöhe
Ich habe den Roman gelesen und zwei Verfilmungen geguckt, die sich allerdings nur mit dem ersten Teil des Romans befassen. Verstörende Figuren, nervige Charaktere, eine gruselige Heidelandschaft – super Unterhaltung!

Georg Büchner: Lenz
Woyzeck ist Standard im Abitur der letzten Jahre, zumindest in Bremen. Lenz habe ich deshalb nur auszugsweise gelesen und den Schüler*innen diese Auszüge mal kurz präsentiert. Das hat mir gefallen, aber ist für mich deshalb eher so ein Text, den man für die Arbeit braucht (das schwere Los der Deutschlehrer*innen…).

Albert Camus: Der Fremde
Den Text kenne ich noch nicht. Als die Pandemie losging, habe ich mir typischerweise „Die Pest“ eingekauft, weil mir gerade danach war. Habe ich den Text bisher gelesen? Nein, ich warte einfach auf die nächste Pandemie.

Miguel de Cervantes: Don Quijote von der Mancha
Das ist einer der Klassiker, die ich unbedingt noch lesen will. Ich empfehle aber auch sehr die Graphicnovelvariante von Flix.

Joseph Conrad: Herz der Finsternis
Eine unfassbar finstere Geschichte, der Titel sagt alles. Trotzdem sehr lesenswert!

Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens
Ein Buch, das man immer wieder lesen kann.

Assia Djebar: Fantasia
Das sagt mir bisher nichts, klingt aber interessant.

Fjodor Dostojewski: Die Dämonen
Das kenne ich bisher noch nicht.

Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche
Schullektüre.

Umberto Eco: Der Name der Rose
Unfassbar gut, ich habe sogar das Brettspiel dazu. Sicherlich ein Buch, das ich mir vorstellen könnte, ein zweites Mal zu lesen!

George Eliot: Middlemarch
Steht hier im Regal bereit, möchte ich unbedingt lesen. Im Moment ist es mir aber zu dick.

Annie Ernaux: Die Jahre
Habe ich bisher noch nicht gelesen.

F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby
Ein fantastischer Roman.

Gustave Flaubert: Madame Bovary
Ja, unbedingt lesen!

Theodor Fontane: Effi Briest
Traurig mit Effi, einfach alles nur traurig. Große Kunst, unbedingt lesen. Kann man auch lesen, wenn man in der Schule drumherum gekommen ist.

Jonathan Franzen: Die Korrekturen
Das steht hier im Regal, ist mir aber im Moment auch zu viel-seitig.

Max Frisch: Stiller
Das kenne ich noch nicht! Nach meiner Begegnung in der Schule mit „Homo Faber“, damals in der neunten Klasse, hatte ich kein weiteres Interesse mehr an Max Frisch. Ist das ein Fehler? Sollte ich Stiller lesen?

Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie Erster und Zweiter Teil
Erster Teil: Gelesen und für fantastisch befunden. Zweiter Teil: Same.

Günter Grass: Die Blechtrommel
„Oskar will die Trommel!“ Brausepulver. Aale. Zerstörtes Glas. Ich fand das Buch so toll, ich habe es in einem Spanienurlaub am Pool in einem Rutsch durchgelesen. Der Film ist natürlich auch großes Kino!

Wassili Grossman: Leben und Schicksal
Nennt mich Ignorantin, das sagt mir leider gar nichts.

Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen
Ganz groß! Ebenfalls Stoff im Deutschabitur 2022 in Bremen. Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, den Text mit den Schüler*innen wieder zu entdecken.

Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer
Alte Männer und das Meer. Hat mir gut gefallen.

Judith Hermann: Sommerhaus, später
Das habe ich nie gelesen. Kennt ihr den Roman?

Hermann Hesse: Der Steppenwolf
Das ist auch so ein Text, den man unbedingt gelesen haben muss. Hesse gehört auf diese Liste, aber Siddartha ist in meiner Erinnerung präsenter.

Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley
Es gibt eine Neuverfilmung auf Netflix, ich habe sie aber noch nicht gesehen und den Roman kenne ich auch nicht.

Homer: Odyssee
Die Geschichte des Odysseus habe ich mir als Zusammenfassung auf Wikipedia durchgelesen und das war für mich absolut ausreichend.

Michel Houellebecq: Elementarteilchen
Politisch ist der Typ ja nicht mehr tragbar. Ich weiß nicht, ob ich noch Lust habe etwas von ihm zu lesen.

Elfriede Jelinek: Die Klavierspielerin
Unbedingt lesen, es ist nicht schön, aber zerstörerisch radikal und gut.

James Joyce: Ulysses
Das steht hier im Regal, aber ich habe es noch nicht gelesen. Ähnlich wie „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace oder „Das Schiff des Theseus“ von Doug Dorst und J. J. Abrams ist das ein Text, der irgendwann von mir gelesen werden wird. Irgendwann.

Franz Kafka: Die Erzählungen
Grandios. Alles. Nicht nur für das Deutschabitur, einfach generell. Es gibt einen schönen Minifilm von Planet Schule über Kafka *klick*, bisher habe ich es noch nicht geschafft, die ARD-Serie zu schauen. Ich freu‘ mich aber sehr darauf.

Han Kang: Die Vegetarierin 
Großes Kino.

Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt
Das Buch habe ich sehr gemocht. *klick*Danach habe ich nichts mehr von Kehlmann gelesen, aber sowohl Tyll als auch Lichtspiel liegen hier noch ungelesen herum.

Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen
Ein Werk, das mich sehr beeindruckt hat.

Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen
Ich habe meine Bachelorarbeit über Animalität und Weiblichkeit geschrieben und dabei „Das kunstseidene Mädchen“ untersucht. Ein toller Text, den wirklich jede*r gelesen haben sollte, der einen kleinen Einblick in die 1920er Jahre gewinnen möchte.

Heinrich von Kleist: Sämtliche Erzählungen
Ich habe an der Uni ein Kleistseminar gehabt und da haben wir Kleist rauf und runter gelesen. Das Erdbeben von Chili, Michael Kohlhaas, Pantasilea, Die Marquise von O. … Das hat mir dann auch gereicht.

Karl Ove Knausgård: Kämpfen
Ich liebe die Reihe, aber auch seine anderen Romane fand ich toll, z.B. Aus der Welt. Das Jahreszeitenquartett wartet noch in meinem Regal.

Christian Kracht: Faserland
Ja, großes Kino.

Ágota Kristóf: Das große Heft
Das steht im Regal, aber es war noch nicht der richtige Zeitpunkt.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Leopard
Vielleicht. Irgendwann.

Harper Lee: Wer die Nachtigall stört
Einfach toll!

Doris Lessing: Das goldene Notizbuch
Das steht hier noch ungelesen herum.

Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise
Deutschunterricht und so, selbst unterrichtet habe ich den Text noch nicht.

Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter
Als Kind war ich ein großer Fan des Films und die Geschichte der verfeindeten Räuberbanden war ein absolutes Highlight für mich. Die Rumpelwichte und ihre Sprache sind so putzig („Hängt das Baby an den Schuh!“) und die Wildrunen Stoff für Alpträume.

Clarice Lispector: Nahe dem wilden Herzen
Von der brasilianischen Virginia Woolf habe ich noch nie gehört, klingt vielversprechend. 

Curzio Malaparte: Die Haut
Das klingt wirklich interessant.

Hilary Mantel: Wölfe
Interessiert mich weniger und die Seitenzahl ist auch eher abschreckend. Habt ihr das Buch schon gelesen?

Thomas Mann: Buddenbrooks
Klassiker, gefällt mir sehr. Den Zauberberg finde ich aber noch besser #thomasmannultras

Herman Melville: Moby-Dick
Ich glaube, das sollte ich mal lesen.

Eva Menasse: Dunkelblum
So ein toller Roman! Auf Instagram gib es von mir eine Kurzrezension dazu.

Michel de Montaigne: Essais
Kennt ihr die Texte? Lohnt sich das?

Karl Philipp Moritz: Anton Reiser
Das sagt mir nichts und jetzt bin ich neugierig geworden.

Toni Morrison: Menschenkind
Das steht hier noch im Regal herum.

Herta Müller: Der Fuchs war damals schon der Jäger
Ich habe gezählt. Ich besitze acht Bücher von Herta Müller, diesen Roman auch. Alle sind großartig.

Haruki Murakami: Die Chroniken des Aufziehvogels
Ein noch ungelesener Murakami, andere seiner Werke haben mir sehr gefallen.

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften
Irgendwann. Vielleicht.

Vladimir Nabokov: Ada oder das Verlangen
Da halte ich es wie der Kaffeehaussitzer: Och nö. 

Ovid: Metamorphosen
Habe ich mal angefangen und dann mit wenig Begeisterung darin herumgelesen und dann wieder aufgehört.

Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis
Steht hier im Regal bereit, möchte ich unbedingt lesen.

Orhan Pamuk: Cevdet und seine Söhne
Eben so wie Oz.

Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Eben so wie Pamuk

J. K. Rowling: Harry Potter
Ich bin Millenial, Hands down, die beste Reihe der Welt. Leider eine mittlerweile problematische Autorin. An unserer Toilettentür hängt noch das Fahndungsplakat von Sirius Black, ich habe es nicht übers Herz gebracht, es abzuhängen.

Arundhati Roy: Der Gott der kleinen Dinge
Lieblingsbuch. Für immer.

Stendhal: Rot und Schwarz
Weiß ich nicht.

Ngūgī wa Thiong‘o: Herr der Krähen
Das klingt sehr interessant.

Olga Tokarczuk: Unrast
Das liegt hier noch ungelesen im Regal.

George Orwell: 1984

Für meine Masterarbeit über Dystopien habe ich natürlich auch diesen Klassiker gelesen. Die weibliche Perspektive in „Julia“ würde mich auch sehr interessieren.

Sylvia Plath: Die Glasglocke
Rory-Gilmore-Leselistenkandidat. Das hat mir gefallen

Thomas Pynchon: Die Vermessung der Parabel
Weiß ich nicht, ob das sein muss.

Joseph Roth: Radetzkymarsch
Joseph Roth ist für mich bisher kein Schriftsteller, den ich auf dem Zettel habe. Was würdet ihr von Roth empfehlen?

Salman Rushdie: Mitternachtskinder
Die meisten Bücher Salman Rushdies gefallen mir sehr. Mitternachtskinder kenne ich aber bisher noch nicht. Besprechungen findet ihr auf dem Blog.

Lutz Seiler: Kruso
Ich habe hier noch Stern 111 und Kruso liegen, beide noch ungelesen.

Zeruya Shalev: Liebesleben
Zeruya Shalev habe ich bisher noch nicht gelesen.

Mary Shelley: Frankenstein
Mary Shelley hat den Text mit 16 geschrieben. What a genius! Gelesen habe ich das Original bisher noch nicht.

Zadie Smith: Zähne zeigen
Ich habe den Roman auf Englisch und ich habe ihn mehrfach angefangen und ich kann nicht sagen, ob ich ihn jemals fertig gelesen habe.

Germaine de Staël: Über Deutschland
Das interessiert mich nicht so sehr.

Lew Tolstoi: Anna Karenina
Puh, das sind auch sehr viele Seiten…

David Foster Wallace: Unendlicher Spaß
Bisher nicht geschafft, aber der Roman liegt hier und schaut mich mit seinen pergamentdünnen Seiten vorwurfsvoll an und flüstert: „Eva, ich stehe schon über acht Jahre in diesem Regal.“ Ja, er wird wahrscheinlich noch öfter flüstern.

Christa Wolf: Der geteilte Himmel
Dieses Buch ist unglaublich gut!

Virginia Woolf: Mrs. Dalloway
Das hat mir gut gefallen.

Serhij Zhadan: Internat
Es steht schon im Regal bereit und irgendwann werde ich es lesen!

Das war er nun, meine persönlicher Einschätzung des neuen ZEIT-Literaturkanon der 100 besten Bücher. Ich habe viele interessante Romane auf der Liste gefunden. Und ja, es ist natürlich immer nur eine Auswahl… Da der Kaffeehaussitzer selbst Ergänzungen hinzugefügt hat, halte ich damit auch nicht hinter dem Berg. Die Ergänzungen sind genau so persönlich wie es ein Kanon eben auch ist.

Was fehlt für mich?

Ein paar ungeordnete Gedanken dazu. Ich vermisse das beste Buch über Literatur und für Literaturliebhaber, was es gibt: Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers. Überhaupt ist der Kanon, was Fantasy angeht, eher mau. Ist das nicht „e“ genug? Zudem fehlen mir die Beatliteraten, da besonders „On the Road“ von Kerouac. Schillers „Die Räuber“ fehlt, dabei finde ich das Stück richtig gut. Auch einer der großen Erzähler der Gegenwart, nämlich John Irving, ist nicht vertreten. Und was ist mit Schriftstellerinnen, die realistische Frauenleben beschrieben, wie z.B. Tove Ditlevsen in ihrer Kopenhagen-Trilogie? Und wie eurozentrisch und amerikanisch ist eigentlich diese Liste?

Welche Bücher fehlen euch in diesem Kanon?

Die Sirenen des Titan

Kurt Vonneguts klassische SF-Satire aus dem Jahre 1959 ist eine ziemlich schräge Leseerfahrung, da man nie weiß, in welche absurde Richtung sich der Roman noch entwickeln wird.

Nils Rumfoord existiert nach einem verunglückten Raumflug nur noch als ein zwischen Erde und Beteigeuze pulsierendes Wellenphänomen und ist im chronisch-synklastischen Infidibulum gefangen. Er materialisiert sich hin und wieder in seinem Haus in Newport, Rhode Island, und wird dafür von seinen Anhänger*innen gefeiert und wie eine Gottheit verehrt. Der reichste US-Amerikaner Malachi Constant fühlt sich von Rumfoord besonders abgeholt, da dieser ihm seine Zukunft und damit sein Schicksal voraussagt. In einem Krieg zwischen Mars und Erde käme Constants eine besondere Rolle zu, außerdem würde er einige Jahre auf dem Merkur leben. Constants wird dann auch tatsächlich von Marsianern entführt, nennt sich fortan Onkelchen und versucht auf dem Merkur den Prophezeihungen Rumfoords zu entgehen, die das Kaliber von antiken Tragödien haben. Die Marsianer beginnen ihre Invasion der Erde, werden aber relativ schnell von den Menschen platt gemacht und können lediglich eine Bäckerei in Basel erobern. Ach so und die drei Sirenen sind die schönsten Frauen der Welt, aber weder Onkelchen noch Rumfoord können bei ihnen landen…

What?! Ja, ich weiß es doch auch nicht. Dieses Buch ist ein Geschenk, es ist witzig, überdreht und traurig und alles zugleich. Vonnegut gelingt in dieser absurden Geschichte eine unglaubliche Meisterleistung: man klappt das Buch zu und möchte die ganze Welt umarmen und wild loslachen, weil die Existenz des Menschen so absurd und lächerlich und doch so wunderbar ist. Dann fühlt man sich ganz klein, gerade vom Universum aus betrachtet, und doch sehr zufrieden mit sich und der wunderschönen Welt.

Weitere Besprechungen findet ihr hier:

Der rechte Pfad

Wer sind eigentlich diese Menschen, die sich als heimattreu bezeichnen ohne dabei rot zu werden? Wer sind diese Leute, die ihre Kreuze bei einer Wahl möglichst weit rechts machen und dabei auch noch glauben, dass sie einen Beitrag zur Rettung des Staates und der eigenen Seele leisten? Wer glaubt an „Überfremdung“ und hat Angst, dass die Deutschen aussterben? Astrid Sozio hat einen spannenden Roman geschrieben, der zumindest indirekt diese hochaktuellen Fragen verhandelt und dabei so harmlos daherkommt. In „Der rechte Pfad“ erzählt sie auch eine Geschichte einer Radikalisierung, die vom Ich-Erzähler erst einmal verstanden werden muss. Das macht den Roman so lesenswert.

Benjamin erlebt etwas Verstörendes und muss einfach nur weg aus der Stadt zu seinem Vater, in ein kleines Dorf im Sauerland. Seit Jahren war er nicht mehr da, verbrachte aber in seiner Kindheit und Jugend oft die Ferien dort. Noch heute gelten in der Gemeinde strenge, evangelikale Regeln. Als Teenager war Benjamin mit den Geschwistern Hanna, Lea und Gideon befreundet, Hanna stirbt. Der Kontakt zu seinem Vater bricht ab.

Jeden Abend bitten Frau Gothel und ich den Heiland, dass er in mein Herz einzieht, aber irgendwie klappt es nicht. Obwohl ich wirklich, wirklich, wirklich nicht für immer tot sein will irgendwann. Frau Gothel schenkt mir eine Karte, die zeigt, wie man von Deutschland in den Himmel kommt. Es gibt einen breiten goldenen Weg, Richtung Osten, der geht geradewegs in einen Feuersturm hinein.

‚Das ist die, hm?, die Hure Babylon, da willst du nicht hin.‘ Frau Gothel tippt auf die schmale Pforte im Westen: ‚Da, das ist dein Weg. Steinig und schwer. Und ganz schmal, und immer bergauf. Aber nur so komms du nach, hm? Nach Jerusalem. Das is das Paradies.‘

Der rechte Pfad, S. 52

25 Jahre meidet Benjamin den Ort, um dann zurückzukehren. Er wird scheinbar mit offenen Armen empfangen, aber Benjamin ist kritischer geworden. Er versteht weder Gideon, mit dem er früher erste sexuelle Erfahrungen machte und der jetzt nur davon spricht, dass er „gesundgebetet“ wurde noch versteht er Lea, die auf Instagram rechtsradikale Positionen vertritt. Als sich einige Waldfreunde und Lebensschützer um Benjamin bemühen und ihn für ihre Agenda einspannen wollen, steht er vor einer herausfordernden Entscheidung.

Ich habe den Roman bei vorablesen.de als Rezensionsexemplar gewonnen.

Johanns Bruder

„Warum ist Ihr Bruder stumm?“ Über diese Frage hatte Johann nie nachgedacht. „Paul kann nicht lügen“, sagte er.

Johanns Bruder

Paul ist von der Polizei verhaftet worden. Er hat in einem Dorf nördlich von Celle 17 Hühner geköpft und sagt nicht, warum. Er schweigt. Das ist nicht verwunderlich, denn Paul schweigt seit seiner Jugend. Er kommuniziert nur über Zettel, die er in insgesamt acht Beuteln mit sich herum trägt. Seine Botschaften schreibt er auf den „Wunderblock“ und archiviert sie stets im Anschluss, sodass es sein kann, dass er auf eine Frage nicht direkt antwortet, sondern in seinen Beuteln nach bereits verfassten Nachrichten sucht. Ansonsten ist Paul sehr friedlich und kann deshalb von Johann aus der Psychiatrie abgeholt werden. Obwohl sich die Brüder seit 25 Jahren nicht gesehen haben, ist Johann Pauls Notfallkontakt.

Paul bittet Johann schließlich darum, ihn auf eine Reise zu begleiten, entlang des 52. Breitengrades. Jedes Kapitel ist mit einer Etappe der Reise versehen, die die Brüder quer durch Norddeutschland führt.

Der Start ist in eben jenem Dorf Altensalzkoth, in dem Paul die Hühner köpfte. Paul hat eine Obsession für Adolf Eichmann entwickelt und Eichmann lebte von 1946 bis 1950 als Hühnerzüchter unter falschem Namen in eben diesem Dorf. Während Paul einen genauen Plan verfolgt, muss Johann sich den Ideen seines Bruders anpassen und mit seinem Liebeskummer fertig werden, denn sein Freund hat ihn verlassen. Erschwerend kommt hinzu, dass Johann ein Drogenproblem hat, was Paul aber nicht zu kümmern scheint. Während Paul anhand seiner Aufzeichnungen auch den Lebensweg eines kleinen jüdischen Jungen nachverfolgt, der Bergen Belsen überlebte, ist Johann mit einer Reise in die eigene Vergangenheit der Geschwister konfrontiert.

Im tiefreligiösen Elternhaus galt Paul aufgrund seines Schweigens als eine große Besonderheit, während Johann oft von seinem Vater verprügelt wurde. Weshalb Paul schweigt, weiß Johann nicht, nur, dass das Schweigen begann, als ihre Mutter verschwand.

Das klingt nach wirklich viel Stoff für knapp 340 Seiten und das ist vielleicht auch ein bisschen das Problem. Die Protagonisten sind liebenswert und skurril, viele Situationen sind sehr humorvoll geschildert und stehen deshalb im krassen Kontrast zu der Reise in die Vergangenheit. Als Paul und Johann dann durch Zufall auf eine germanische Glaubensgruppe stoßen und der Nazi-Bezug damit auf schräge Weise aktualisiert wird, bin ich für einen kurzen Moment raus. Ein gemeinsam gerettetes Huhn stellt dann wieder den Bezug zum Anfang her und macht vielleicht alles, wenn auch nicht wieder gut, dann doch ein bisschen besser.

Es klärt sich nicht, weshalb Paul schweigt. Man kann es am Ende erahnen. Und man kann erahnen, dass Paul und Johann recht unterschiedliche Wege gefunden haben mit der Vergangenheit umzugehen. Und man könnte eine Verbindung zwischen Schuld, Schweigen und Zeugenschaft sehen, was sich sicherlich auch auf den Umgang der meisten Deutschen mit der Vergangenheit unseres Landes übertragen ließe.

Lohses dritter Roman hat mir gut gefallen, besonders die Idee, dass ein Mensch auch vor Wut ins Schweigen verfallen kann. Seine vorherigen Romane, z.B. „Ein fauler Gott“ oder „Das Summen unter der Haut“ kenne ich bisher nicht.

Habt ihr schon ein Buch von Lohse gelesen?

Weitere Rezensionen findet ihr hier:

LiteraturReich

livebreathwords

Trabant

Trabant, Definition:
Ein Trabant ist in der Astronomie ein kompaktes, natürlich entstandenes astronomisches Objekt, das sich in einer Umlaufbahn um ein anderes, deutlich massereicheres Objekt befindet.

wikipedia

Auf Familien bezogen, könnten Kinder also auch die Trabanten ihrer Eltern sein. Und damit sind wir schon mitten in der Geschichte.

Georg war vielleicht auch so ein kleiner Trabant. Er war immer da, ganz in der Nähe seiner Eltern und hat vielleicht doch nicht alles mitbekommen.

Vor dem Tag der Hochzeit seines besten Freundes erhält Georg Himmel  eine dubiose SMS seines Vaters, die ihn nicht loslässt und viele Fragen aufwirft. Hat der Vater eine Affäre?  Liegt sein Vater in dieser Nacht im Sterben – oder wurde er als ehemals ostdeutscher Spion enttarnt? In dieser Spätsommernacht scheint für Georg Himmel alles möglich zu sein, keine Überlegung ist zu abwegig. Seine Gedanken kreisen und kreisen und kreisen, sie erreichen ungeahnte Umlaufbahnen in seinem Kopf.

Georg beschließt den Geheimnissen auf den Grund zu gehen, setzt sich in den alten Corsa (Trauzeuge hin oder her) und fährt los, um den Vater in den frühen Morgenstunden am Münchner Flughafen abzufangen und ein Auseinanderbrechen der Familie zu verhindern. Aber: Ist da überhaupt noch etwas zu retten? Sind die Eltern die, für die er sie immer gehalten hat oder hat er als Kind und Jugendlicher entscheidende Momente falsch verstanden?

Abwechselnd folgen wir Georg Himmels Roadtrip und seinen Erinnerungen in die 90er und 2000er Jahre. Himmel war ein merkwürdiges Kind mit einem großen Interesse für Sterne aller Art. Mit seinem Vater beobachtete er oft den Betegeuze, einen Himmelskörper, der im Verglühen begriffen ist und der irgendwann als Supernova enden wird.

Georg erinnert sich an Details aus seiner Kindheit, versucht Hinweise zu finden auf Risse in der Ehe seiner Eltern, die er übersehen hat. Er stellt sich Urängsten und Hirngespinsten, seiner Einsamkeit, seinen Enttäuschungen. Besonders die Beziehung zu seinem Vater spielt eine wichtige Rolle.

Trabant erzählt vom Ankommen und einer finalen großen Überraschung, die mich sehr berührt hat. Ein absolut gelungenes Debüt, dem ich ganz viele Leser*innen wünsche. 

Ich habe den Roman bei Vorablesen als Rezensionsexemplar erhalten.

Vielen Dank!

Die Hexen von Cleftwater

Wir sind der Natur zuwider, wir sind Gott zuwider. Wir sind

ohne Zahl, wir sind Legion. Wir sind zu viele, wir sind nie genug.

Die Hexen von Cleftwater, S. 314

East Anglia, 1645. Martha ist Hebamme, Heilerin, Bedienstete und stumm. Seit vierzig Jahren lebt sie in Cleftwater, im Dorf ist sie akzeptiert und angesehen, sie hat viele Babys auf die Welt gebracht und Familien geholfen. Als der Hexenjäger Makepeace behauptet, einen Hexenzirkel in Cleftwater ausgemacht zu haben, wird auch Marthas Freundin Prissy, die im selben Haushalt wie Martha arbeitet, verdächtigt und als Hexe angeklagt. Ausgerechnet Martha wird von ihrem Hausherrn als Helferin für Makepeace vorgeschlagen – einerseits kann er Martha so vor dem Hexenjäger schützen, andererseits besteht vielleicht noch die Möglichkeit Prissy zu retten.

Martha sieht sich mit einer fast unlösbaren Aufgabe konfrontiert, sie muss sich selbst schützen und gleichzeitig den religiösen Wahn von Makepeace abwehren, denn er beginnt das Dorf gegen die Frauen aufzuhetzen. Für viele Männer ist die Hexenverfolgung auch eine gute Gelegenheit, unangepasste Frauen loszuwerden. Martha erlebt so nicht nur die Auswirkungen einer patriarchalischen Gesellschaft, sondern auch die Folgen von Aberglauben und religiösem Wahn, der um sich greift. Als der Dorfpriester sich verzweifelt versucht für die Frauen der Gemeinde einzusetzen, wird er ebenfalls als Hexe verfolgt.

Als Figur des späten Mittelalters ist Martha selbst eine spannende Figur, da sie ebenfalls einem privaten Aberglauben folgt. Von ihrer Mutter hat sie ein Wachspüppchen vererbt bekommen, dass sie gegen Makepeace wie eine Vodoopuppe einsetzt, während sie gleichzeitig Angst davor hat, dass jemand von ihrer „Zauberei“ erfährt. Dabei weiß die nie, ob ihre Hexerei mit dem Püppchen wirklich funktioniert. Trotzdem bleibt der Atzmann oft ihre einzige Hoffnung.

Wow, was ein Pageturner! Ich habe die Geschichte innerhalb von zwei Tagen weggeatmet. Vielleicht nicht der geeignetste Roman fürs Wochenbett, da gerade am Anfang eine schwierige Geburt erzählt wird, die nicht gut für das Kind ausgeht und Martha in eine schwierige Situation bringt, andererseits lag es nicht nur an meinem Hormonchaos, dass mich der Roman von Margaret Meyer, der auf historischen Fakten basiert, so mitgenommen hat. Es ist einfach unfassbar spannend erzählt wie der Hexenjäger nach und nach immer mehr Frauen verhaftet, die aufgrund des Verhörs/Folter wieder andere Frauen als Hexen diffamieren. Man möchte schreien vor lauter Ungerechtigkeit. Martha versucht ihrer Freundin zu helfen und in den Nachbardörfern brennen bereits die Scheiterhaufen… Das ist unfassbar gut gemacht, erfordert aber auch starke Nerven der Leser*innen.

Klare Leseempfehlung!

Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

Weitere Besprechungen findet ihr hier:

Lust auf Literatur

Die Rose im Sand

Hier ist es im Moment etwas ruhiger geworden, das liegt nicht daran, dass ich weniger lesen würde… keine Sorge! Aber ich habe im Dezember ein Baby bekommen. Mein Leben läuft also in einem etwas anderen Rhythmus. Das ist total schön und sehr aufregend, bedeutet aber auch oft wenig Schlaf #standderdingeaugenringe

Ein bisschen Lesezeit ist aber immer drin, Kurzgeschichten zu lesen klappt besonders gut. Die Rezensionen lassen dann etwas auf sich warten, aber ich habe da noch einige Entwürfe im Ordner. Aber alles dauert eben noch ein bisschen länger als sonst. :)

Ich habe den Kurzgeschichtenband „Die Rose im Sand“ von Susan Glaspell bei einer Verlosung des Dörlemannverlags gewonnen und bin ganz hingerissen von der schönen Ausgabe – mit Lesebändchen. Die Geschichten sind für mich eine absolute Entdeckung, zuvor kannte ich die Autorin noch nicht. Susan Glaspell (1876-1948) war Reporterin und veröffentlichte Theaterstücke und Kurzgeschichten. 1931 wurde sie mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und gilt als Klassikerin der Moderne. In Deutschland wurde sie bisher kaum rezipiert, dabei sind ihre Kurzgeschichten fantastisch geschrieben. Für ihre eigene Theatercompany, die „Provinvetown Players“ schrieb sie ebenfalls Stücke und prägte so das amerikanische Drama.

Ich bin ein Fan von Kurzgeschichten, gar keine Frage. Ob amerikanische Autor*innen der Gegenwart wie T.C. Boyle oder Alice Monro oder auch deutsche Autor*innen der Nachkriegszeit (das liegt schon allein am Deutschunterricht und ist ein Thema, was ich sehr gerne unterrichte) – Kurzgeschichten haben immer einen besonderen Platz in meinem Leseherz. Wenn sie gut geschrieben sind, können sie auf wenigen Seiten die Spannung eines Romans aufbauen und einen Twist einbauen, der einem die Schuhe auszieht. Die Geschichten von Glaspell sind in der Zeit von 1912 bis 1927 entstanden und wurden von Henning Bochert übersetzt. Susan Glaspell erzählt in ihren Geschichten von entscheidenden Wendepunkten im Leben. Ihre Figuren stehen vor großen Herausforderungen und können durch ihre Entscheidung die Welt zu einem besseren Ort machen. Dabei sind es oft Kleinigkeiten, die dem Schicksal eine neue Wendung geben. Im richtigen Moment zu handeln, erfordert aber trotzdem Mut. Da gibt es den Senator, der ein Todesurteil abmildert oder die Frau eines Sergeants, die Beweise verschwinden lässt oder den Liftboy, der durch einen Trick dazu beiträgt, dass eine Abstimmung im Kongress anders verläuft.

Im Nachwort thematisiert Borchert, wie wichtig Glaspell Fragen nach Klasse und Macht in ihren Erzählungen waren, die oft auch eine feministische Sicht zeigen, indem die Frauenfeindlichkeit der männlichen Protagonisten entlarvt wird oder sich andersherum zeigt, wie sehr auch Männer unter bestimmten Stereotypen leiden können. Dabei bleibt ihr Blick auf ihre Figuren fast mitfühlend und zärtlich. Besonders gut zeigt sich das in der Geschichte „Eine Jury Ihresgleichen“ (1917). Zum Tatort eines Mordes werden der Bundesstaatsanwalt und der Sheriff gerufen, ihre Frauen sollen mitkommen und für die Tatverdächtige Anziehsachen für die U-Haft heraussuchen. Pikant daran: Die Frauen kennen die Verdächtige noch von früher. Während die Männer durch frauenverachtende Sprüche über die Tatverdächtige und generelle Mysogynie auffallen, sind die Frauen in der Lage den Tathergang zu rekonstruieren und eine folgenschwere Entscheidung zu treffen.

Insgesamt haben mir die Geschichten sehr gut gefallen und angesichts der Tatsache, dass sie vor knapp hundert Jahren geschrieben wurden, wirken sie sehr modern. Es ist eher erschreckend, dass sich manche Dinge immer noch nicht verbessert haben. Glaspells Blick auf die Welt ist aber nicht verbittert, im Gegenteil. Viele Geschichten sind komisch oder zeigen zumindest auch die Absurdität des Alltagslebens. Unbedingte Leseempfehung!

Animal Inside – Nightbitch

Kunst und die wilde Seite im Menschen. Lesenswert!

Eine namenlose Künstlerin ist seit der Geburt ihres Kindes Zuhause. Ihr Mann ist Ingenieur und oft auf Geschäftsreise, die Carearbeit bleibt an ihr hängen. Sie ist unzufrieden, hat kaum Freundschaften. Anderen Stay-at-Home-Mums, zum Beispiel denen aus dem Lesekreis der Bibliothek, begegnet sie eher herablassend. Sie erkennt zwar Gemeinsamkeiten, aber kann mit deren Vorliebe Kräuter und Selbstvermarktung wenig anfangen. Kolleginnen von früher sind in ihrer Karriere vorangekommen und es gibt kaum gemeinsame Gesprächsthemen. Zu einer Fremdbetreuung kann sie sich nicht durchringen, der Sohn ist noch zu klein. Ihre Welt ist düster und leer.

„Wie sie herausgefunden hatte, konnte man eine Mutter an diesem Blick erkennen, aus dem nicht nur Langeweile und Erschöpfung sprach, sondern noch etwas anderes. Es war, als suchten die Mütter in der Ferne etwas, das sie verloren hatten, woran sie sich aber nicht mehr erinnern konnten. Was?“

Nightbitch

Eines Tages stellt sie eine merkwürdige Veränderung fest: sie beginnt sich in einen wilden Hund zu verwandeln. Zunächst ist es ihr Geruchssinn, der sich ändert. Sie bekommt Appetit auf rohes Fleisch und ihr wächst Fell. Bald spielt sie gemeinsam mit dem Kind nur noch Hund und sie jagen Kleintiere im Garten. Außerdem stellt sie fest, dass es auch andere Hunde in der Gegend gibt, die den anderen Müttern verdammt ähnlich sehen. Wie kann das sein? In ihrer Verzweiflung entdeckt sie das Buch einer Ethnologin, Wanda White, die seit Jahrzehnten magische Frauen erforscht. 

„Das Seltsame ist vielleicht, dass die meisten magischen Frauen sich ihrer Kräfte gar nicht bewusst sind und sich ohne einen Blick zurück ins Reich des Magischen begeben. Für sie fühlt die Reise sich so natürlich an wie zu atmen oder einzuschlafen. Der Wechsel von der bekannten Welt in die unbekannte geschieht oft unbewusst, doch in jedem Fall markiert er den Beginn dessen, was die Kwolo aga nennen, das zweite Leben.“

Nightbitch

Ihr zweites Leben wird eine große Erfüllung, Nightbitch entdeckt ihre wilde Seite und findet sogar wieder den Weg zurück zur Performance-Kunst. Und auch ihr Mann liebt sie letztlich so, wie sie ist. 

Dieser Roman ist unglaublich fesselnd, wie Nightbitch sich mit ihrer neuen Rolle anfreundet und am Ende sogar noch künstlerische Kraft aus ihrer Verwandlung zieht, ist ungemein spannend zu lesen. Einige Punkte lösen sich sehr schnell in Wohlgefallen auf, doch damit konnte ich bei dieser sehr besonderen Geschichte gut leben. 

Abgedrehtes und durchaus blutiges Werwolfmärchen, feministische Verwandlung, Weg einer Künstlerin und Mutter – man kann viele Schlagworte für diesen besonderen Roman finden. Klare Leseempfehlung!

Monde vor der Landung – Ein sympathischer „Querdenker“

Monde vor der Landung erzählt ein ungewöhnliches Leben von einem ziemlich versponnenen Menschen. Peter Bender, 1893 geboren, ist ein verträumter und sensibler Junge, der sich von seiner Familie nicht verstanden fühlt. Er macht Abitur in Worms und meldet sich 1914 freiwillig für den Kriegseinsatz. Traumatisiert kehrt er nach einem schweren Flugzeugabsturz zurück und lernt im Lazarett seine spätere Frau Charlotte kennen.

Bender und Charlotte ziehen nach Worms, sie unterrichtet und verdient das Geld, während er zunehmend in seine Gedankenwelt abtaucht. Bender vertritt die fantastische Vorstellung einer Hohlwelt, nach der wir nicht auf, sondern in der hohlen Erde leben. Wir sind sozusagen die Bewohner in der kugeligen Erde, die Sterne sind Löcher in der uns umspannenden Hülle. Warum auch nicht? Entgegen jeglicher Vernunft bleibt Bender bei seinen Theorien und lässt sich auch durch erzwungene Psychiatrieaufenthalte nicht von seiner Meinung abbringen. Kurioserweise findet er immer wieder Mitstreiter für seine absurden Ideen, gründet eine entsprechende Gesellschaft Gleichgesinnter und hält Kontakt in die USA. Das reale Leben und die echten Probleme rauschen dabei komplett an ihm, der manchmal daran verzweifelt zu den wenigen aufrechten Wahrheitsvertretern zu gehören, vorbei. Doch sein Leidensdruck ist gering, bei seinen Vorträgen findet er immer wieder interessiertes Publikum und genug Frauen, die sich ihm an den Hals werfen.

Charlotte stammt aus einer jüdischen Familie und muss bald mit Repressionen rechnen, das Geld wird knapp und Bender tut wenig, um ihr zu helfen – er erträumt sich eine große Anhängerschaft von der er und Charlotte als ausgewähltes Königspaar verehrt werden. Er wird verhaftet, landet in der Irrenanstalt, aber nichts lässt ihn an seiner Wahrheit zweifeln. Kein Wunder, dass in den meisten Rezensionen ein Verweis auf moderne Querdenker erfolgt. Dabei schadet Bender ja zunächst niemandem, sondern in erster Linie sich selbst und seiner Familie. Aber wie soll man mit einem Menschen umgehen, der den Bezug zur Realität verloren hat?

Clemens Setz hat einen über 500-seitigen Roman geschrieben, der viele Fragen offen lässt, dafür manchmal ganz nah, manchmal mit leichter ironischer Distanz seine chaotische Hauptfigur begleitet, für die man im Laufe der Geschichte fast ein bisschen Sympathie und Verständnis entwickelt. Das unterscheidet die Figur von den Querdenker*innen heutzutage und das hat mir gut gefallen.

Weitere Rezensionen findet ihr hier:

Buchhaltung

Bücheratlas

4321 – „Dicke-Bücher-Camp 2023“

Was wäre, wenn… Fast 1300 Seiten, vier Mal ein Leben von Archiebald Ferguson. Paul Auster erzählt die Lebensgeschichte von Archie von seiner Geburt im Jahr 1947 bis zum Neujahrsmorgen 1970 und zwar in vier Varianten. Jedes Kapitel existiert in vier Ausführungen und unterscheidet sich anfänglich nur in Kleinigkeiten, die dann zu Weggabelungen für ein ganzes Leben werden.

Ausgangspunkt ist die Einwanderung des Urgroßvaters in die USA. Ein Bekannter rät ihm, nicht seinen eigenen osteuropäischen Namen anzugeben, sondern einen verheißungsvollen Namen, zum Beispiel Rockefeller. Das stünde für Reichtum. Völlig aufgeregt erinnert sich der Großvater bei der Erstellung seiner Dokumente nicht mehr an den Namen und ruft auf Jiddisch aus: „Ich hoab vargessan!“ – Ich habe es vergessen. Daraufhin trägt der Beamte das ein, was er hört, den Namen „Ichabod Ferguson“. Ein Ereignis, das alle Archies gemeinsam haben. Hätte es etwas geändert, wenn Archies Urgroßvater den Namen Rockefeller gewählt hätte? Ein was wäre, wenn … steht also schon ganz am Anfang der Geschichte.

Aber es sind auch andere Dinge, die in den vier Varianten von Archies Leben durchgespielt werden: Archies Vater stirbt oder eben nicht,  die Ehe der Eltern geht kaputt oder eben nicht, er studiert an verschiedenen Unis, er geht nach Paris oder lässt es, er hat Beziehungen zu Frauen oder zu Männern. Trotzdem gibt es auch einige Konstanten in allen vier Leben: Sport und das Schreiben. Als Journalist, Schriftsteller oder Literaturübersetzer versucht Archie seinen Weg durch die Dramen des Alltags zu finden und ich bin ihm gerne dabei gefolgt, auch wenn die Lebensgeschichten der Archies mit der Zeit leicht verschwimmen.

Die Ausgangsfrage danach, was uns eigentlich als Person ausmacht, trägt den Roman über weite Strecken und hat mir gefallen, weil es so nachvollziehbar ist und Dinge berührt, die wir uns alle doch schonmal gefragt haben. Wäre ich damals umgezogen, wäre ich dann eine andere geworden? Hätte ich mit XY Schluss gemacht, wo wäre ich heute?

Archie selbst fasst diese Überlegungen so zusammen:

… dass die Welt wie sie war allenfalls ein Bruchteil der Welt sein konnte, da das Wirkliche auch aus dem bestand, was sich hätte ereignen können, aber nicht ereignet hatte, und dass ein Weg nicht besser oder schlechter war als ein anderer, aber das Qualvolle daran, in einem einzigen Körper am Leben zu sein, war, dass man sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt auf nur einem Weg befinden musste, auch wenn man auf einem anderen hätte sein können und einem ganz andere Ort hätte entgegengehen können.

Einige Geschichten sind überraschender als andere, manche konnte ich einfacher nachvollziehen und verstehen als andere. Natürlich beschreibt Auster eine Zeit, die er selbst erlebt hat, wenn es um Proteste gegen Vietnam und politische Diskussionen an der Uni geht. Das Klischee des „alten weißen Mannes“ will ich jetzt gar nicht bemühen, aber es wurde mitunter etwas anstrengend, wenn es um die Darstellung der Beziehungen von Archie ging, außerdem hat es einiges an Ausdauer gekostet, sich auf diesen Roman einzulassen. Ich glaube nicht, dass er ein absolutes Meisterwerk ist, auch wenn Austers Sprache fantastisch ist. Trotzdem war mir der Aufbau der vier Leben insgesamt einfach zu ähnlich und ich musste viel hin- und her blättern, um mich wieder daran zu erinnern, was in der aktuellen Variante von Archies Leben, die ich gerade gelesen habe, und im Kapitel vorher geschehen ist.